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Texte zur zeitgenössischen Fotografie und digitalen Bildkunst
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Books - die Foam-Liste Nr. 8 1.+ 2., Juni 10

von Sebastian Hau


"Ata Kando, Photographer", Mets En Schilt, 2008

Ata Kando ist natürlich keine unbekannte Fotografin. Und doch wird sie entweder für ihre Portraits von Kindern ungarischer Flüchtlinge 1956 oder ihren fotografischen Novellen "Droom in het Woud" oder "Kalypso En Nausikaä" bekannt sein, oder als erste Frau Ed van der Elskens (nur eine kurze Episode in ihrem langen Leben). Nun ist eine Monografie erschienen, die ihre Modearbeiten aus dem Paris der fünfziger Jahre, ihre frühen Portraits, ihre Arbeiten aus Venezuela und eine Vielzahl einzelner Bilder, die man nicht leicht einordnen kann, zeigt, editiert von Ad van Denderen und Leo Erken. Dass sie Lehrerin des Ersteren oder etwa Koen Wessings war ist genauso wenig bekannt wie ihre Assistenz bei MAGNUM und Printtätigkeit für Cartier-Bresson im Paris der vierziger Jahre. Die Zusammenstellung betont den Schaffensreichtum Kandos mit sehr unterschiedlichen ästhetischen, politischen und persönlichen Fotografien, die sich nicht zu einem geschlossenen Werk fügen, sondern sich als solche selber genügen.
www.publishedart.com.au/bookshop.html?book_id=6977



Joel Tettamanti, "Davos", Scheidegger & Spiess


Der Fotograf Tettamranti umwanderte die Schweizer Stadt bei seinen Aufenthalten 2006 bis 2008 in mehreren sich weitenden Kreisbewegungen. Die Fotografien, die kühl und distanziert wirken, führen uns so von Hausdächern herab mitten auf den Sportplatz in der Stadt, hinauf auf die Berge, an die Hänge, an die Vorgärten von Einfamilienhäusern, dann wieder durch Tunnels und zurück in die gleichförmigen Siedlungen. Und was erst einmal eine sachliche Bestandsaufnahme einer mittleren europäischen Stadt zwischen Tourismus- und Konferenzbetrieb ist, wandelt sich im Buch, durch die Abfolge der Bilder, Variationen von Tag- und Nachtbildern, aufsteigenden und einschließenden Nebeln, blauen Himmeln, und man wird an die entrückten Spaziergänge Hans Castorps in Thomas Manns „Zauberberg“ erinnert, an eine Zivilisation in Blüte und nahe an der Zerstörung. Der Bildband „Davos“, dessen Cover eine Fotografie einer Straße schmückt, die sich den Berg hinauf schlängelt, ist sicherlich keine Parabel auf unser Leben, aber er ist mehr als nur die Fleißarbeit eines Fotografen, der sich der sachlichen Schule (oder den new topographics) verpflichtet fühlt.
www.tettamanti.ch/pages/tettamanti.html, www.nzz.ch/hintergrund/tableau/joel_tettamanti_davos_1.4579457.html


Zwelethu Mthethwa, "Zwelethu Mthethwa", Aperture 2010


Geboren 1960, hatte Mthethwa Fotografie in Kapstadt studiert und diese dann zugunsten von Malerei aufgeben, weil es für seine Tätigkeit als künstlerischer Fotograf in der südafrikanischen Apartheid-Gesellschaft keinen Platz gab. Nachdem er die Fotografie wieder aufgenommen hatte, finanziert durch den Verkauf von Zeichnungen und Gemälden, sind seine Bilder bis heute bei Festivals, in Museen und Galerien immer wieder gezeigt worden, und unter den Vertretern der afrikanischen bzw. südafrikanischen Fotografie hat er sich einen bedeutenden Namen gemacht. Die jüngst erschienene Aperture-Monografie zeigt Serien wie "Sugar Cane", "Coal, Quartz and Gold Miners" oder "Brick Workers". Es sind die Portraits von Menschen in ihrer Arbeits- oder Wohnumgebung, neben seinen Innenräumen, mit denen der Fotograf überzeugen kann, durch seine würdevolle, freundliche und klare Darstellung von Menschen. Gerade in der Serie Interiors, den Portraits von Landbewohnern, die in der Großstadt Arbeit suchen (und erst einmal in Notbehausungen landen) werden die Farben von Kleidungstücken und Einrichtungsgegenständen kontrastreich verwendet und präzise gegeneinander balanciert. Dadurch gewinnnen die ruhigen und beinahe friedlichen Portraits (weit entfernt sowohl von der bekannten afrikanischen Studiofotografie als auch der überwiegenden Pressefotografie) an Spannung. Okwui Enwezor zeigt im begleitenden Essay Unterschiede etwa zur Fotografie David Goldblatts auf, die man als europäischer Rezipient ersteinmal sehen lernen muss – aber jenseits der genauen Einordnung hat mich schon länger kein Fotoband mit Portraits so angezogen.
www.aperture.org/events/detail.php?id=637, de.wikipedia.org/wiki/Zwelethu_Mthethwa



Katja Stuke, "Lonely Planet", BoehmKobayashi


Für Katja Stuke ist die Kamera nie nur eine Maschine zum Abbilden gewesen, sondern immer ein problematisches Instrument in der Bewältigung von Bilderwelten. So ist ihre neue kleine Publikation, die mittels generischer und generierter Bilder der Unsichtbarkeit von den das Internet bestimmenden Firmen wie Facebook, Google oder Yahoo gewidmet ist, sowohl ein Guidebook, ein ironischer Kommentar als auch ein kleines unauffälliges Künstlerbuch in der Nachfolge der Eigenpublikationen Ed Ruschas. Es ist ein handliches Taschenbuch mit Schwarz-weiss-Fotografien und kleinen Texten. Neben den Bildern, die Frau Stuke in Los Angeles und dem Silicon Valley gemacht hat, finden sich aus dem Netz gegrabbte Bilder: Portraits der Angestellten Googles, Aussenansichten von Firmenzentralen der großen Player, simulierte Bilder aus Sims 2, Satellitenbilder. Diese Bilder, ihre Quellen und Inhalte erschließen sich dem Leser nach und nach, auch durch Zwischentitel, Orts- und Firmenangaben. Wie Paul Virilio einmal über das Wesen des Wissens in den Zeiten des Internets sagte, die Kerne sind jetzt auf die Schale des Apfels verteilt, so kann der Netzbürger in diesem streng-redigierten Buch den Erscheinungsformen, den neuen Topographien des Netzes nachspüren.
www.boehmkobayashi.de/ www.ks68.de/ www.frau-boehm.de/stuke.html


Koen Wessing, "Chile 1973", Errata


Unter den neuen Büchern, die Errata im zweiten Set seiner Ausgabe von aufwendig reproduzierten Studienausgaben seltener Fotobücher veröffentlicht hat, ist "Chile 1973" ein besonders hervorhebenswerter Meilenstein der Fotobuchgeschichte. Und vor allem, weil es sich beim Original nicht um ein Buch, sondern um ein Heft mit 26 Abbildungen handelt. Im eigenen Auftrag besuchte Wessing Chile während des Militärputsches gegen die Allende-Regierung. Durch seine bürokratisch-wirkende Kleidung – er trug einen unauffälligen grauen Anzug – konnte er unbehelligt fotografieren. Die Serie beginnt mit brennenden Büchern und einem Trauerzug, und verlagert sich dann in ein Fussballstadium, in dem Intellektuelle oder Anhänger des Allende-Regimes interniert werden, nachdem sie fotografiert und ihnen die Haare geschoren wurden. Die letzten Bilder zeigen dann die Übermacht der Soldaten auf der Strasse, sie werden zunehmend gesichtsloser und wirken wie Schablonen der Gewalt. Die Gegenüberstellung von Macht und Unrecht, Gewalt und Unterdrückung ist präzise in ihrer Anklage und die Bilder, die sich noch der Ästhetik Cartier-Bressons verpflichtet fühlen, mitreißend und virtuos. Errata hat nun Goldblatts „In Boksburg“, Kleins „New York“ und das Fotobuch-Juwel „Toshi-E“ von Yutaka Takanashi neu zugänglich gemacht, alle hervorragend reproduziert, mit sorgfältiger historischer Recherche und Texten und bebildeter Bibliographie. Wessings Buch entfaltet seine Wirkung vor allem im Original, wenn man das kleine Bändchen in den Händen hält, und 40 Jahre nach Erscheinen noch seine Moral und Erschütterung spürt, und die Herausgeber haben ihr Bestes getan, uns diese Wirkung zu vermitteln.
www.errataeditions.com/author_wessing_1a.html
www.kasselerfotoforum.de/index.php?cat_id=25&article_id=461&parent_id=9



E N G L I S C H



Jürgen Nefzger, "Fluffy Clouds", Hatje Cantz


This prize-winning series is a documentation of nuclear power plants throughout Europe. The detailed images are in the style of industrial photography and show the power plants together with their surrounding landscapes. This results in both humour and irony, since the foreground of the pictures reveals the different ways in which landscape is used: a new housing development, leisure parks, a public beach, tennis courts, and so on. In this series, humour is a product not of words but of images in which near and far have been brought together. The unconventional editing ensures that landscape photography and social criticism play an equally strong role. The photographs of landscapes in all seasons and from all parts of Europe are exceedingly well printed and the colours are precisely reproduced. www.juergennefzger.com/page_news.htm
www.woz.ch/artikel/2010/nr08/kultur/18983.html



John Gossage, "Here", Rochester


This catalogue was originally a newspaper supplement for an exhibition of photographs commissioned by the city of Rochester. It is now available in a plastic sleeve, complete with belly band and the photographer’s signature. A surprising number of portraits round off a series in which Gossage presents small photographic metaphors of life in the suburbs. In handles, supports, clamps and fasteners, small makeshift defences against the powers of disintegration, Gossage finds elements for a series featuring the buildings and streets of Rochester. In many of his books and series, Gossage has followed his themes on and off the beaten track. Through the sequence of the pictures one can feel Gossage both walking as well driving à la Eggleston or Winogrand. This publication is fairly extensive and has allowed the artist to present generously sized pictures nearly as large as exhibition prints. Newspaper printing is perhaps not the best way to reproduce photographic precision but here it emphasises the ephemeral side of this artist’s photography. www.rochesterartcenter.org/exhibitions/publications.html
en.wikipedia.org/wiki/John_Gossage



Cracow Photomonth 2009


Poland and other eastern European countries are now producing more and more interesting catalogues and books. Distribution channels are still in early stages of development, which makes it difficult to judge the state of publishing in these countries. The catalogue of last year’s Photomonth in Cracow is, however, a good example: excellent production, carefully translated texts, and surprising editing are immediately noticeable. This publication begins with a selection of photographs by Viktor Kolar which the Czech photographer made in his home town over the course of the last thirty years. On his own initiative, he sensitively documented the city and its inhabitants without making concessions to social expectations. The team of curators in Cracow headed by Tomasz Gutkowski and Karol Hordziej made an excellent selection of well-known and less well-known photographers. The catalogue shows series by Weegee, Odermatt and Tichy, images on the festival theme of “memory processed”, and photographs from the Archive of Modern Conflict. I recognised many of these pictures, but they are nevertheless edited in an economical and surprising fashion. The catalogue also gives us an overview of interesting exhibitions of Polish and Czech photography and an opportunity to learn about a whole range of photographers. The organisers are planning to produce further books, which is something we can look forward to.
www.photomonth.com/index.php/en/page/1/aktualnosci.html



Kim Bouvy, "Phantom City", Pels & Kemper, 2010



"Phantom City" is a small pocketbook that would like to be several things at once: a documentation of Rotterdam with a geographical index, a photo novel with chapters, and an academic work with a two-page bibliography. When we open it, a walk begins through a grey and often gloomy city. The book presents us with black-and-white photographs, some of newspaper or television images, and of streets, towering buildings, narrow passages, and slip roads. Is this a dark version of the Japanese cult book "Tokyo Nobody"? Not quite, for even on the cover there is the spectre of a person walking, and now and then we can see people, although they appear to be turning away, just like the houses and buildings. After a while, a peculiar feeling for space sets in, one that is made of stones and concrete and of memories and history, which the photographer evokes with texts and images. This book has a clean and elegant design and seduces the reader with an approach that vacillates between a sober study by a photographer and curator and an almost paranoid and obsessive trip through the chasms of an unknown city.
www.kimbouvy.com/?cat=32
www.youtube.com/watch?v=aM-R9epJaDg



"Time is a Book", Ghent Festival


The organisers and curators of the photography festival in Ghent invited an exciting group of photographers and artists to discuss the theme of time. Focusing on people who work with books, they invited Lawrence Weiner, Robert Adams, Guy Tillim and Susan Meiselas. Els Dietvorst and Dirk Braeckman have made a catalogue documenting the exhibition which nevertheless works as a book even for readers who were not at the festival. Although it is not lavishly produced, this large-format manuscript is a combination of a give-away, an artist’s book, and a department store catalogue and thus has a special significance. It contains part of Simon Norfolk’s most recent series documenting missile launches, works by Lynn Cohen, Jitka Hanzlová and Craigie Horsfield, as well as texts by Eliot Weinberger, Ben Okri, Rimini Protokoll and John Berger. All of this is found in a three hundred-page brochure that gives considerable space to the images and text and in which we can detect a clear artistic direction. www.bamart.be/pages/detail/en/4039



Stefan Bladh, "The Family"


For seven years, the Swedish photographer Stefan Bladh visited and photographed a Turkish family living in destitute circumstances. He has now self-published a selection of these pictures, some 60 in all, in a book with a foreword by Anders Petersen. The closeness of the photographer to the parents and their nine children is exceedingly clear in this selection. Intimate images such as these can only be made by photographers who place friendship and benevolence on equal footing with the interests of photography. This volume includes pictures of the nine children at work and play, portraits of the parents, scenes and a few landscapes. The majority of the pictures are in black and white but there are also a few colour photographs. Seldom have I encountered such a convincing début in recent experience. Bound in cloth and with a belly band and a tipped-in photograph on the cover, this book has a serious design and provides the pictures with enough space for the reader to become fully engaged in the story they tell.
www.stefanbladh.se/index.php?/a/the-family/
www.nzz.ch/hintergrund/tableau/stefan_bladh_the_family_1.5736133.html



07.06.2010


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Schlagworte: Ata Kando, Joel Tettamanti, Zwelethu, Mthethwa, Katja Stuke, Koen Wessing, Jürgen Nefzger, John Gossage, Stefan Bladh, Koen Wessing, Kim Bouvy, Cracow Photomonth, Ghent Festival