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Texte zur zeitgenössischen Fotografie und digitalen Bildkunst
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Nachgefragt: Gespräch mit Thomas Wiegand, Mitorganisator des 4. Kasseler Fotofrühlings.

von Thomas Leuner


Thema der diesjährigen Veranstaltung (30.5.–1.6.08) war das „Fotobuch“ als künstlerisches Mittel.


fotokritik:
Klein, aber fein, so lautete das Echo auf den diesjährigen Fotofrühling, also ein Erfolg. Was hat dazu beigetragen? War es das Thema, das Konzept? Die Zusammenarbeit mit der Hochschule?


Thomas Wiegand:
Kassel liegt zwar zentral, aber offenbar noch nicht auf der Landkarte der Fotofestivals in Deutschland. Die Veranstaltung war nicht über-laufen und es gab keine hektische Atmosphäre; alles blieb im über-schaubaren Rahmen. Dabei hatten wir für ein Programm inter-nationalen Zuschnitts gesorgt. Die Räumlichkeiten in der Kunsthoch-schule sind ideal; Hörsaal, Foyer, die in diesem Jahr einbezogene Bibliothek und die Ausstellungsflächen liegen eng zusammen. Ansonsten schien der „Fotofrühling“ auch im vierten Anlauf bei der Kunsthoch-schule und deren Studenten als echte Chance zur Profilierung noch nicht angekommen zu sein. Die Last der Organisation und Finanzierung lag wie bisher im Wesentlichen beim Kasseler Fotoforum. Das hat allerdings auch Vorteile, da ein Verein flexibler arbeiten kann als eine öffentlich-rechtliche Institution. Zum Thema: Eine Beschäftigung mit dem Fotobuch lag in der Luft und wir überlegen, dies für künftige Veranstaltungen auszubauen.


fotokritik:
War das Thema Fotobuch für die Studenten uninteressant? Und: Wer be-schäftigt sich mit dem Fotobuch als künstlerischem und fotografischem Medium? Die Künstler und Fotografen, die Sammler und Kunstvermittler – oder ist das eine ganz eigene Szenerie?


Thomas Wiegand:
Da ich nicht in der künstlerischen Lehre tätig bin, kann ich nicht beurteilen, welchen Stellenwert die Studierenden dem Fotobuch als künstlerische Ausdrucksform beimessen. Die zum Fotofrühling 08 gezeigte Ausstellung „Pages“ des Fotomuseums Rotterdam hat jedenfalls gezeigt, dass Fotobücher zumindest in den Niederlanden als Medium sehr ernst genommen werden und dass es dazu sehr eindrucksvolle Beispiele gibt. Die Hochschulen in Hamburg (Material Verlag) und Leipzig haben eigene Editionen gegründet, die den Studierenden die Möglichkeit geben, abgeschlossene Serien in Buchform und in hoher Qualität zu publizieren.
Wer sich mit dem Fotobuch als Medium beschäftigt, liegt auf der Hand: Es sind in kleinerer Zahl Sammler, die entweder zu den erworbenen Prints weitere Informationen oder weitere Arbeiten aus dem Umfeld der gekauften Arbeit wünschen, oder es sind, sicherlich deutlich häufiger, Sammler, denen es nur um die Bücher geht. Hinzu kommen selbstver-ständlich diejenigen Fotografen oder Kunstvermittler, die sich einfach nur informieren möchten, oder Gelegenheitskäufer, denen beispielsweise eine Ausstellung so gut gefallen hat, dass sie gleich den Katalog oder das Buch zur Ausstellung mitnehmen.
Bücher sind im Gegensatz zu ortsfesten Ausstellungen mobiler. Wenn ich nicht nach Sonstwohin reisen möchte, um die spektakuläre Ausstellung Soundso zu sehen, bestelle ich mir das passende Buch. Ich verzichte zwar auf Größe und Aura der Originale, kann mir aber dafür einen Werkkomplex zu Hause in Ruhe auf dem Sofa ansehen. Hin und her blättern statt durch die Ausstellung gehen, Information statt Event. Dazu kommt, dass Sammlern oft das Sammeln an sich reicht. Dem Händler sind diese Kunden am liebsten, denn sie kaufen die seltenen und selten gut erhal-tenen Stücke in „Vintage“-Qualität. Weil es so viele Fotobücher und so viele Bezugsquellen gibt, sind die Sammler in der Regel immer sehr gut informiert. Der ahnungslose Käufer, dem der Händler irgendetwas auf-schwatzen kann, dürfte in diesem Bereich des Büchermarktes ziemlich selten sein – es sei denn, es handelt sich um blutige Anfänger oder um Leute, die weder Geschmack noch eine eigene Meinung haben.
Im Übrigen glaube ich nicht, dass ein gut sortiertes Bücherregal ein Statussymbol werden wird wie ein echter Gursky über dem Designersofa es derzeit sein mag. Die Kennerschaft blüht auf dem Felde des Foto-buches eher im Verborgenen, wenn man nicht gerade Bücher darüber schreibt wie Gerry Badger oder Martin Parr. Und ob die Preise ewig steigen und Fotobücher „als attraktive Geldanlage“ taugen, wie wir es in der September-Ausgabe der Kunstzeitung lesen konnten? Eher ein schlechtes Zeichen, wenn in dieser Weise berichtet wird. Für die unumstrittenen Klassiker á la Sander, Antlitz der Zeit, mag die Prognose der Kunst-zeitung sicherlich gelten, denn der Markt dafür ist im Augenblick ziemlich leergefegt. Ich wäre mir aber nicht so sicher, ob der Boom auch für den unübersichtlichen Markt der zeitgenössischen Bücher anhalten wird.


fotokritik:
Auf die Ausstellung „Pages“ des Fotomuseums Rotterdam möchte ich noch später zurückkommen. Bei dem Thema Fotobuch drängt sich immer die Frage auf, was ist das eigentlich. Sie haben diese Frage in Ihrem Vortrag „Was ist ein Fotobuch“ eingekreist. www.kasselerfotoforum.de/index.phpcat_id=7&article_id=347). Wo liegen die Probleme? Gibt es dazu Literatur?


Thomas Wiegand:
Der Begriff „Fotobuch“ bezeichnet, wenn man einer Recherche über Google Glauben schenken darf, Bücher mit vom Kunden selbst fotografierten Aufnahmen, hergestellt im Digitaldruck und zu beziehen über das Internet oder jeden Drogeriemarkt. Im Mittelpunkt des Fotofrühlings standen aber Bücher, die als Werk einen besonderen Wert als Publi-kationsform von Fotografie haben. Wert meint hier zunächst nicht den Marktwert, sondern den Wert in künstlerischer, ästhetischer, konzep-tioneller, kunsthistorischer, historischer, drucktechnischer, gestal-terischer Hinsicht. Ich beschäftige mich seit langem mit der Suche von solchen „Werken“ abseits der Empfehlungen, wie man sie von Badger/Parr, Roth, Bertolotti oder Auer bekommt. Genau dieses Vorgehen empfahl -auch Martin Parr in seinem Vortrag in Kassel. Die von Parr & Co vorge-stellten Werke setzen Maßstäbe, nach denen man seine eigene Urteils-fähigkeit schulen kann. Aber der Kanon der Fotobücher ist noch lange nicht abgeschlossen. Einige Bücher aus dem Kanon waren schon immer selten und teuer, andere wurden erst durch die Veröffentlichung bei Parr & Co unerschwinglich. Für Bücher, wie ich sie suche und immer wieder finde, gibt es keinen Markt – sie werden also nur eingeschränkt wahrgenommen. Fotobücher ohne prominente Empfehlung sind auch gut, aber es interessiert kaum jemanden. Deshalb ist es an der Zeit, Fotobücher und deren Geschichte ernsthafter zu erforschen und die Wissensbasis zu verbreitern. Ob dabei die oft von Sammlern zusammen-getragenen spezialisierten Bibliotheken (wie in Berlin im Fotomuseum die Bestände Steinorth und Lambers oder in Stuttgart der Bestand Krauss) eine Rolle spielen können, bleibt dahingestellt. Bibliotheken forschen nicht, sie stellen nur das Material zur Verfügung. Es sei denn, man versucht wie der Sammler und Publizist Manfred Heiting auf Basis der eigenen Sammlung eine über die trockenen Bibliographie der Fotoliteratur von Frank Heidtmann hinausgehende, wenigstens für eine bestimmte Zeitspanne oder Buchgattung geltende Vollständigkeit zu erreichen (vgl. dazu Roland Jaeger, Autopsie und Information, in: Rundbrief Fotografie, NF 54, Heft 2/2007, S.3f.). Vollständigkeit heißt, dass der Bearbeiter alle Bücher gesehen hat und durch die Autopsie eine ganze neue Qualität im Umgang mit den Büchern erreicht werden kann. Die Frage ist nur, wie die interessierte Öffentlichkeit an dem Erkenntnisgewinn beteiligt werden kann, denn Bücher in privaten Bibliotheken sind normalerweise für die Forschung nicht zugänglich.


fotokritik:
Und was wäre das Erkenntnisziel dieser Forschung? Vielleicht können Sie dies an einigen Beispielen aufzeigen?


Thomas Wiegand:
Wenn für Kunst- oder andere Ausstellungen Kataloge erstellt werden, werden die gezeigten Werke minutiös bis in kleinste Details beschrie-ben, die Provenienz wird geklärt, eine kunstgeschichtliche Einordnung wird gegeben etc. Das jedenfalls erwarte ich von einem richtigen Aus-stellungskatalog. Wenn man ein Buch als Werk ernst nehmen möchte, sollte das in gleicher Form geschehen. Bislang tun das nur die wenigsten Händler, Sammler oder Museumsleute. Bücher bekommen eine bestimmte Ausstattung mit auf den Weg, ein Schutzumschlag ist also nicht nur die Verkaufsverpackung des Bandes, sondern als Gesicht des Werkes ein ästhetisches Statement. Das innen vergleichsweise unspek-takuläre Hamburg-Buch von Albert Renger-Patzsch (Gebrüder Enoch Verlag, Hamburg 1930) beispielsweise erhielt eine Fotomontage von Cesar Domela als Schutzumschlag. Diese Montage ist zwar aus Bildern des Buches aufgebaut, steht aber für eine ganz andere Ästhetik. Ohne den Umschlag kennt man das Buch nur zur Hälfte. Ob der Fotograf mit dieser avant-gardistischen Verkaufshülle überhaupt einverstanden war? Roland Jaeger hat diesem Buch einen Aufsatz gewidmet, die Forschungslage ist also vergleichsweise gut (Roland Jaeger, Moderne Stadtwerbung mit Photo-graphie: Das „Hamburg“-Buch von Albert Renger-Patzsch, in: Aus dem Antiquariat, 3/2005 (10.6.2005), S. 171ff.). Selbstverständlich sind nicht alle Umschläge, Schuber, Bauchbinden, Lesezeichen und was es sonst noch an Ausstattungselementen geben mag, für den Historiker wichtig. Vieles mag nur den Sammler interessieren, für den die Seltenheit, der Zustand, die Vollständigkeit ungeachtet vom Erkenntnis-wert den Anreiz darstellt, statt 60 Euro 1500 Euro auszugeben – so vielleicht heute der Preisunterschied beim genannten Hamburg-Buch.
Ein weniger bekanntes Beispiel ist der Schutzumschlag von Heinrich Hausers Buch „Schwarzes Revier“ (S.Fischer Verlag, Berlin 1930). Im Open Book und bei Auer ist dieses Buch, über dessen Charakter als Fotobuch man trefflich streiten kann, enthalten, wird aber jeweils ohne den vermutlich von Walter Buhe gestalteten Schutzumschlag abgebildet. Dieser zeigt eine Fotomontage (Negativmontage einer Industrieanlage und einer Gruppe von Arbeitern) und eine moderne Typographie. Mit dem Umschlag stellt sich die Frage „Fotobuch ja oder nein?“ nicht mehr – es ist ein Buch, bei dem die Fotografie eine große, über das rein Illus-trative hinaus gehende Rolle spielt, es ist ein Fotobuch. Nebenbei: Das Umschlagmotiv ist im Buch selbst gar nicht enthalten, wurde aber vom Verlag an anderer Stelle für die Werbung für die Neuerscheinung eingesetzt. Eine Auseinandersetzung mit einem Buch geschieht also am besten von einer gesicherten Basis aus, zu der meiner Meinung nach drei Bausteine gehören: das Buch selbst, am besten im Originalzustand, die kompletten bibliographischen Daten und möglichst auch die Kenntnis der Rezeptionsgeschichte des Werkes.


fotokritik:
Noch mal zurück zum Fotofrühling. Eingeladen waren auch einige Foto-grafen, die mit Fotobüchern arbeiten: John Gossage, Jitka Hanzlová und Cuny Janssen. Wie haben diese Künstler ihre Arbeit mit dem Medium Fotobuch beschrieben? Zeigt sich darin auch eine eigene Sicht auf die Fotografie?


Thomas Wiegand:
Gossage hat sein neuestes, derzeit in Göttingen in der Produktion sich befindendes Buch vorgestellt, Hanzlová und Janssen haben ältere Werke präsentiert. Offenbar hat es sehr viel mit Intuition und Gefühl zu tun, ein Fotobuch zu machen – oder es ist eiskalt kalkuliert. Hinzu kommt die Rolle des Gestalters, der wie bei Janssen ein wichtiger Partner auf dem Weg zum gelungenen Buch war und ist. Hanzlová scheint die Bild-auswahl und Reihenfolge im Buch sehr wichtig zu sein; gestalterische Experimente wie bei Janssen und Gossage gibt es bei ihren Büchern nicht. Hanzlová war gar nicht glücklich darüber, dass „Female“ (2000) nicht in Leinen und nicht in einem passenderen Farbton des Einbands produziert wurde; in ihren beinahe puristisch-sachlich gestalteten Büchern soll nichts von den enthaltenen Bildern ablenken. Ganz anders Gossage, der zuletzt in Farbe arbeitete und dies auch gleich in einer besonderen Weise in der Buchgestaltung thematisieren wird („The Thirty-Two Inch Ruler/Map of Babylon“, 2008). Anders auch als Janssen, die je nach Inhalt ihrer Fotos eine besonders gut dazu passende Form sucht („Finding Thoughts“, 2005, als Tagebuch gebunden und mit handschrift-lichen Texten gestaltet).


fotokritik:
Martin Parr und Gerry Badger haben in „The Photobook: A History, Volume 1 und 2“ die Fotobücher in Kapiteln geordnet. Diese tragen Titel wie „Topografie und Reisen“, „Medium und Botschaft“, „Foto Auge“, „Ein Tag im Leben“, „Der entscheidende Augenblick“ usw. Dieses Ordnungsprinzip ist vehement kritisiert worden. Am deutlichsten von Herbert Molderings in „sehepunkte 5, Nr. 7/8“ der von „mit ´Catch-Words´ frei schweifenden Fantasien“ spricht. In dieser Rezension hat Molderings auch Merkmale für das Medium Fotobuch ent-wickelt, die sehr klar sind. Es lohnt zu zitieren: „... doch wird an keiner Stelle (The Photobook: A History, Volume 1) auch nur ansatzweise die Spezifität dieser aus fotografisch-visuellen, filmisch-sequenz-iellen und literarischen Elementen konstruierten Erzählung analysiert. Die Besonderheit der geistigen Räume, welche die Bilder und Texte zwischen den beiden Buchdeckeln erzeugen, wird nirgendwo deutlich.“ Und: Eine historische Analyse im Rahmen der allgemeinen Wahrneh-mungsgeschichte der Moderne fehlt völlig. Das war Stand 2005. Hat sich hier was getan? Wie wurde diskutiert? Oder ist die Theorie des Fotobuchs immer noch ein unbekanntes Feld?


Thomas Wiegand:
Ich beobachte die Szene nur aus der Ferne, aus der Provinz. Trotzdem habe ich nicht den Eindruck, dass sich seit 2005 Entscheidendes in der Diskussion um das Fotobuch getan hätte. Es gab seitdem noch den 2.Band von Parr/Badger und zwei weitere Bücher, die Fotobücher vorstellten (Bertolotti, Auer), aber eine zusammenfassende Geschichte des Fotobuchs oder nur eine weiter gespannte Begriffsbestimmung scheinen mir nicht in Sicht zu sein. Eigentlich ist inzwischen ziemlich viel Material ausge-breitet worden, mit dem man jetzt etwas anfangen könnte. Allerdings reicht allein die Kenntnis der Zusammenfassungen von Parr/Badger & Co. nicht aus, um eine „Theorie des Fotobuchs“ zu schreiben. Es ist Ihnen sicherlich aufgefallen, dass Molderings Parr/Badger genau an den Stellen kritisiert, an denen er sich selbst am besten auskennt, nämlich bei der europäischen Avantgarde der Zeit um 1930. Molderings kritisiert nicht die Darstellung der japanischen Bücher oder die der Frühwerke aus dem 19. Jahrhundert, die möglicher-weise ebenso mangelhaft beschrieben wurden. Ein Überblickswerk wird dem Spezialisten also immer zu wenig sein. Wenn auch im Vorwort des 1. Bandes von Parr/Badger selbstbewusst davon die Rede ist, eine Geschichte der Fotografie anhand von Fotobüchern liefern zu wollen, bezweifele ich, dass die beiden anhand der Auswahl, die in Parrs Sammlung vorhanden ist, „die“ Geschichte, Theorie und Ästhetik des Fotobuchs schreiben wollten. Dazu ist die Qualität der Recherche in der Tat nicht aus-reichend und die von Molderings zu Recht bemängelte, zuweilen sehr seltsame Kategorisierung ist es auch nicht. Es ging den Autoren offenbar nur darum, den Blick zu weiten und das Feld abzustecken. Immerhin ist mit diesem Buch nichts verschenkt, was man nicht noch tun könnte. Das Problem nach Parr/Bagder ist allenfalls, dass sich jetzt nicht mehr jeder die darin vorgestellten Bücher leisten kann – aber dafür gibt es ja Bibliotheken und notfalls Reprints. Die Populari-sierung des Themas hat ihre Licht- und Schattenseiten. Nicht jedes Fotobuch ist ein Werk der Kunst. Es gibt, wie schon angedeutet, neben künstlerischen, ästhetischen oder autobiographischen auch historische, politische, technische, wirtschaftliche Faktoren, die aus einem Buch mit Fotos ein Fotobuch machen. Es sind halt unterschiedliche „geistige Räume“, die von Fotobüchern erschlossen werden. Die von Ihnen zitierte, von Molderings vermisste Analyse dieser geistigen Räume, speziell der wie auch immer organisierten narrativen Strukturen der Bücher, würde den Rahmen einer Überblicksdarstellung sprengen. Vielleicht hätte man diese Aufgabe durch eine geschicktere visuelle Argumentation mit den reproduzierten Doppelseiten zwar nicht erledigen, aber doch zumindest die Potentiale der einzelnen Bücher besser herausarbeiten können.


fotokritik:
Stichwort „photobook on demand“. Über Apple (iPhoto und Aperture), den Berlinern myphotobook oder Blurb (USA) sind mit firmeneigener Software Fotobücher als Einzelexemplare mit guter Qualität unterhalb des Edel-drucks des Steidl-Verlags möglich. Was hat das für Auswirkungen, für Fotografen, Verleger und Sammler?


Thomas Wiegand:
Ich habe mal in einem Vortrag von Stephen Shore gehört, dass er mit Apple iPhoto Büchlein in einer kleinen Auflage herstelle und verkaufe. Ob das jetzt dem Werk des Künstlers Shore nützt oder ihn selbst in seiner künstlerischen Arbeit weiterbringt, kann ich nicht beurteilen, da ich die Hefte nicht kenne. Auf jeden Fall ist es ein zusätzliches Angebot für den Kunstmarkt. Ob Verleger diese Konkurrenz spüren werden, weiß ich nicht – ich sehe zunächst eine Ergänzung des traditionellen Spektrums. Nach wie vor erscheinen mehr traditionell hergestellte Fotobücher als man wahrnehmen kann. Ich habe die iPhoto-Sache für mich ausprobiert: es geht schnell, ist unkompliziert, aber die Layout-möglichkeiten sind beschränkt und eine Papierauswahl gibt es nicht. Das mag bei anderen Anbietern anders sein oder sich in naher Zukunft noch ändern. Hansgert Lambers hat vor zwei Jahren mit eigenen Bildern das Buch Ostrava in einer Auflage von 40 Exemplaren im Digitaldruck produ-zieren und von Hand binden lassen – eine Art Hybridlösung, die zu einem in jeder Beziehung qualitativ hervorragenden Ergebnis geführt hat. Das Kasseler Fotoforum wird sich mit dem nächsten Fotofrühling wieder dem Fotobuch widmen, 2009 dann speziell den von Ihnen erfragten Möglich-keiten, ein Buch ohne inhaltliche und kommerzielle Zwänge selbst zu produzieren. Auch hierfür hat wiederum Martin Parr ein wenig Vorarbeit geleistet, die 3. Ausgabe des Magazins Witness (2007) ist u.a. drei von Parr ausgewählten Fotografen gewidmet, die ihre Bücher selbst produ-ziert haben (Rob Hornstra, Mark Neville, Bart Sorgedrager). Wie genau im Rahmen des 5. Fotofrühlings dieses Thema angegangen werden wird, kann ich noch nicht sagen, wir stehen noch am Anfang der Dis-kussion, die sich derzeit auch auf Bücher erstreckt, die entweder noch gar nicht existieren (Dummys) oder auf solche, die nur im Web publiziert werden. Letztere sind eigentlich keine Bücher mehr, denn auf Papier und zwischen zwei Deckel sollten die Fotos schon gebracht sein. Ansonsten ist es halt etwas Anderes, vielleicht ganz Neues, nur eben kein Buch. Eine Datei kann meines Erachtens nur eine Vorstufe sein. Sie sehen, es könnte spannend werden.


fotokritik:
Als Abschluss möchte ich noch auf die Ausstellung „Pages“ des Foto-museums Rotterdam zurückkommen. Was ist das Besondere an der Aus-stellung und den Bedingungen in Holland? Inwieweit hat das Vor-bildfunktion für die deutschsprachige Fotografie?


Thomas Wiegand:
In den Niederlanden sind dort durch experimentierfreudige Fotografen, Verlage und Firmen (Festschriften!) über Jahrzehnte spannende Foto-bücher erscheinen. Und die Niederländer sind uns in der Aufarbeitung der Geschichte ihrer Fotobücher um Lichtjahre voraus – es gibt ent-sprechende Überblicksliteratur und wenn Sie sehen, wie beispielsweise die Bücher von Nico Jesse in einer Monografie über diesen Fotografen präsentiert werden, kann man den Eindruck gewinnen, dass Fotobücher in Holland viel selbstverständlicher als künstlerische Ausdrucksform wahrgenommen werden als hier (bisher einzige Ausnahme: Chargesheimer). Auf dieser Basis baut die Ausstellung „Pages“ auf – für Deutschland wäre eine vergleichbare Initiative, so befürchte ich, im Augenblick undenkbar. Vielleicht ist Deutschland zu groß, vielleicht gibt es aber auch einfach nicht genug gute Arbeiten in der Art, wie sie uns „Pages“ vorgestellt hat. Die Ausstellung kann hierzulande nur dann eine Vor-bildfunktion entfalten, wenn sie noch an anderen Stellen ge-zeigt wird. Kassel war die erste Station in Deutschland – hoffentlich nicht die letzte.


fotokritik:
Vielen Dank für das Gespräch.



Für fotokritik führte das Gespräch Thomas Leuner.

30.09.2008


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