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Texte zur zeitgenössischen Fotografie und digitalen Bildkunst
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Leuners „fortlaufende Anmerkungen“ Nr.2, Sommer/Herbst 2003

von Thomas Leuner


In den „fortlaufenden Anmerkungen" stelle ich kurz aktuelle Ereignisse der Fotografie vor, die mir erwähnenswert erscheinen. Meine Anmerkungen zu diesen Ereignissen sollen zu weiterem Diskurs anregen. Um in diesem Sinne das Medium Internet zu nutzen, habe ich die in diesem Bericht angesprochenen Einrichtungen über den Beitrag informiert und ihnen die Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt. In dieser Ausgabe betrifft es die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit der Generaldirektion der Staatliche Museen zu Berlin und die Redaktion des “Info-Dienst Kunst“. Erfreulicherweise hat sich Karlheinz Schmid, Chefredakteur des „Info-Kunst“ und der „Kunstzeitung“zu einer e-mail Diskussion bereitgefunden.Siehe unter 4. Diskussion.


Übersicht:

1. Die Berliner Misere
2. Das DCP und der „General“
3. Flops
4. Diskussion mit Karlheinz Schmid zu : Schmuddel Tillmans? Und:
Herr Schuster !



1. Die Berliner Misere


Die Linienstraße in Berlin Mitte scheint sich als Fotomeile zu mausern. Die Fotogalerien CO Berlin, Bodo Niemann und Kicken haben dort ihren Sitz. Die Fotogalerie Bartelt wechselt von der Wielandstrasse in Charlottenburg in die Nummer 161. Neben der Ifa-Galerie sind so zu sagen die NBK, die Fotogalerie Imago und die Kunststiftung Poll um die Ecke angesiedelt. Kicken hat dort ein Haus gekauft – also kein kurzfristiger Trend.


www.co-berlin.com, www.bodoniemann.com, www.kicken-gallery.com, www.giedre-bartelt-galerie.de, ww.ifa.de/galerien/berlin, www.nbk.org. www.poll-berlin.de
www.imago-fotokunst.


Eine Entwicklung, die sicherlich in die richtige Richtung geht. Das Quartier liegt im Galerienviertel hinter der Auguststraße und direkt im Bereich des Bahnhofs Friedrichstraße. Er ist also zentral und für einfliegende Sammler gut erreichbar. Das ist für den Berliner Standort wichtig, da auch für die nächsten Dekaden die Sammler fast ausschließlich von außerhalb kommen werden.
Wenn man aber über die Fotografie in Berlin spricht, steht sofort die Frage im Raum, warum gibt es in der Hauptstadt Berlin kein „Maison de la Photographie" oder ein ähnliches öffentliches Kulturinstitut, das sich der Fotografie widmet.


Dass dieser Zug mit dieser Idee längst abgefahren ist, wird dabei meist übersehen.Der Gründungsboom solcher Institutionen lag in den 80er Jahren. Damals wurde für West-Berlin eine ähnliche Institution in der Schwartzschen Villa in Steglitz angedacht, kam aber aus Konkurrenzgründen zur Fotografischen Sammlung der Berlinischen Galerie nicht zur Realisation.Fatal an dieser Entwicklung war das weitere Schicksal der Berlinischen Galerie.
www.berlinischegalerie.de
Mit deren kontinuierlichem Zusammenbruch ab 1990 wurde der allseits gerühmten Fotografischen Sammlung die räumliche Basis entzogen. Hinzu kam der Rückzug des Gründers der Sammlung, Janos Frecot. Der Nachfolger, Ulrich Domröse, konzentrierte sich ausschließlich auf archivarische Arbeiten mit Schwerpunkt DDR-Fotografie. Seit 1990 hatte sich die Fotografische Sammlung aus dem öffentlichen Diskurs über Fotografie ausgeklinkt.
Auch das Deutsches Centrum für Photografie (DCP) der Sammlung Preußischen Kulturbesitzes hat keine Verbesserung der Lage gebracht.www.smb.spk-berlin.de (das DCP gibt es in Hompage nicht).
Es wurde schnell erkennbar, dass es dem Generaldirektor Schuster nur darum ging, die in den Sammlungen vorhandenen Fotografien zu sichten und nach heutigem Museumsstandard zu katalogisieren. Dies ist geschehen und die gerufenen Experten, wie Manfred Heiting und die beteiligten Fotohistoriker, konnten wieder gehen. Weitere Aktivitäten wurden systematisch von dem „General" boykottiert. Siehe dazu das Gespräch mit Manfred Heiting in der „Welt" in: www.welt.de/finden/ (Suchbegriff: Heiting)
Die nachfolgenden Entwicklungen um das DCP haben mit dem wirklichen Berlin und seinem innovativen Potenzial der 20 bis 40 Jährigen nichts zu tun. (Siehe dazu den Beitrag Nr.2 – das DCP und der „General“)
Auch bei den anderen von der öffentlichen Hand geförderten Institutionen ist eine Auszehrung zu beobachten, die die Ressourcen Stand 1990 langsam aufgebraucht haben. Wie weit diese Auszehrung auch selbst verschuldet ist, lässt sich nur in wenigen Fällen eindeutig beantworten.
Die ehemals aktive Arbeitsgruppe Fotografie der NGBK löste sich wegen Konzeptionslosigkeit schon vor Jahren auf. Die von Alexander Tolney in der NBK betreuten Fotoausstellungen über Fotokunst bleiben beharrlich auf dem Stand der achtziger Jahre stehen. Über die Exponate wird eine formale Glätte gelegt, die mal als „Fotokunst" innovativ war, aber die Bilder jetzt zu grafischen Zimmerschmuck degradiert.www.ngbk.de, www.nbk.org Die Ausstellungsorte der Bezirke
Neuköllnkultur-neukoelln.de/galkoern,
Schöneberg www.hausamkleistpark-berlin.de/ und Dahlemwww.hausamwaldsee-berlin.de (West) und Prenzlauerberg www.brotfabrikberlin.de/, Friedrichshain www.kulturring.org/fotogalerie, Treptow (Ost) www.kmza.de/
Die Galerie trugen vor 1990 die wichtigen aktuellen Beiträge zur Fotografie. Diese öffenltiche Bereiche sind langsam mangels Geld und Integration in den Neu-Berliner Kulturverbund weitgehend zusammengebrochen.


Das für 2005 geplante Photograpy Festival www.berlin-photography-festival.de wird für Berlin wirkungslos verpuffen, da in unseliger Tradition der Vorwendezeit die Stadt Berlin nur als Bühne begriffen wird und nicht als eine eigene Region, die um ihre Identität ringt. Nach den neusten Informationen wurde das Segel schon gestrichen, nach dem man die erste Anschubfinanzierung verbraucht hatte.



Was bleibt?
Die wesentlichen Institutionen in Berlin, die die Fotografie tragen, sind die kommerziellen Galerien.Übersicht: www.spirits-in-berlin.de/Galerie


Das ist in der Fülle beeindruckend und erstaunlich. Aber: Eine auf Verkauf ausgerichtete Galerie kann in ihrer Vereinzelung und Verkaufsorientierung nur ein Bruchteil eines kulturellen Gewebes darstelle, welches die Gesamtheit einer Kulturregion ausmacht.



Anmerkung:


In einem Interview mit der „Tageszeitung“ am 02.Juli 03 antwortete der Galerist Matthias Arndt auch die Frage :Was wundert Sie in der Berliner Kunstlandschaft am meisten?
"Dass die Bedeutung der in Berlin entstandenen oder vermittelten Gegenwartskunst weltweit Anerkennung (…..) findet, ohne das dies die hiesigen Museen oder Institutionen (..) und die Kulturpolitik größer beeindruckt oder beeinflusst."www.taz.de/pt/.archiv/suche


Die von Matthias Arndt eingenommene Perspektive unterstelle, dass Ignoranz und böser Wille der Verantwortlichen vorliegt. Das ist sicherlich nicht richtig, vielmehr herrscht eine Atmosphäre von klagender Hilflosigkeit und eisernem Festhalten am Vertrauten. An Aufbruch ist nicht zu denken.
In dieser Lage muss daher die Frage lauten: Wofür gebe ich das vorhandene Geld aus und wie kann ich für Berlin neues Geld akquirieren?
Da die Erlösung nicht von außen kommt, sollte das vorhandene Geld zuerst in den Aufbau einer eigenen Infrastruktur fließen. Wunder wie in Hamburg durch die Sammlung Gundlach sind ja nicht zu erwarten.
Vielmehr muss die Kooperation und Vernetzung dessen, was in der Stadt tatsächlich vorhanden ist, vorangetrieben und nach außen sichtbar gemacht werden. Die Stadt muss sich so zu sagen am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Bildlich gesprochen: Eine Region kann man erst entwickeln, wenn die notwendigen Verkehrsmittel gebaut werden. In Sachen Kooperation und Vernetzung ist man im Fotoland Nord-Rhein-Westfalen schon um einiges voraus, und hat den Vorsprung weiter ausgebaut.
Das Neuste: Fotografie in NRW – ein Handbuch.(Herausgeber: Kultursekretariat NRW, ISBN 3-89861-120-2 für 16,90 €).www.kultursekretariat-nrw.de/ Da steht alles gut redaktionell aufgearbeitet drin: Galerien, Sammlung, Studienmöglichkeiten, Überblicke u.s.w.. Geplant ist weiter: ein dezentrales Recherche Zentrum zur Mediengeschichte.


In dieser Richtung bestehen in Berlin keinerlei Vorstellungen,
geschweige denn konkret Pläne.



2. Das DCP und der „General“


Klaus Peter Schuster ist der Generaldirektor der staatlichen Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. www.smb.spk-berlin.de
Diese Stiftung ist die Rechtsnachfolgerin für das Kulturgut des durch die Alliierten aufgelösten Staates Preußen. Herr Schuster ist der „General" dieser in der Stiftung zusammengeschlossenen Museen. Er hat also einer Machtfülle, die sich noch auf das Preußen als Kernland des Deutschen Reiches beruft. Warum diese Kulturbestände nicht ebenfalls demokratisch organisiert wurden, bleibt aus heutiger Sicht unverständlich.
Der „General" Schuster ist also tatsächlich ein „preußischer General", der ganz im Sinne des 19. Jahrhunderts schalten und walten kann. Dieser General hat kein Interesse an moderner Fotografie. An Deutlichkeit über das Desinteresse von Herrn Schuster lassen die Äußerungen von Manfred Heiting in dem Interview in der Welt nichts zu wünschen übrig. Siehe unter Nr.1.
Durch dieses Desinteresse wird die West-Berliner Tradition der Missachtung des Medium Fotografie fortgesetzt. Das zum dauerhaften Schaden der neuen Hauptstadt und Deutschlands.
Weder findet eine geordnete Sammlungstätigkeit statt, noch wird ein eigenständiger Beitrag zur Erforschung und Darstellung der deutschen Fotografie geleistet. Die neue, überraschende explosionsartige Entwicklung der Fotografie in Europa und gerade des deutschsprachigen Raums, ist fast spurlos an der Stiftung vorbeigegangen. Es sind Lücken in den Beständen entstanden, die nicht mehr zu schließen sind. Das ist ein schwerwiegendes Versäumnis und wird von Tag zu Tag, an dem Herr Schuster den Kurs angibt, größer und größer.


Anmerkung:
Der „General" ist schon seit einiger Zeit unter Beschuss, zum Beispiel: „Abtreten, Herr General! – Kunstzeitung Nr. 85 September".


Nur, die Stoßrichtung dieser Kampagne ist falsch.
Die Fachleute sagen: Eine radikale Strukturform des „Tankers" Stiftung preußischer Kulturbesitz ist notwendig. Also: die Zerschlagung einer Gebildes aus dem 19. Jahrhundert und die Auflösung in einen Verband von weitgehend autonomen Institutionen. Denn nicht Herr Schuster ist das Problem, sonder das ein „General" in einer modernen demokratischen Kultur nichts zu suchen hat. Es ist ja der Öffentlichkeit nicht zu vermitteln, dass jeder Studiendirektor eines Gymnasiums mehr Autonomie besitzt, als die einzelnen Direktoren der Berliner Museen. Erst nach der Zerschlagung des Tankers Preußischer Kulturbesitz sind die lose verbundenen beweglichen Dampfer der einzelnen Institutionen in der Lage dank Konkurrenz und Selbstbestimmung hier Potenzial auszureizen.In solch einer Konkurrenz werden sich auch die Museumsleute finden, die ihre Institution durch die Betonung der Fotografie ein besonderes Profil verleihen wollen.



3. Flops – wer, warum, wo keine Ahnung hatte


Informationsdienst Kunst www.lindinger-schmid.de/frames/home_verlag/alles
Lesebrief zu "Personalien: wer was wie macht.-wer hätte das gedacht:Wolfgang Tillmanns."(Nr.280/ Seite 4)


Da war zu lesen: „Wer hätte das gedacht: Wolfgang Tillmans, London, der neue Professor an der Städelschule, veranstaltet im Lichthof der Hochschule eine Schnupper-Performance, sodass ihn alle Studenten und Kollegen kennen lernen konnten, und outete sich am laufenden Band. Beispiel: Sein ungewöhnlichstes Motiv, so erläuterte der Mann, der gerne hinter den Kulissen fotografiert, sei die Queen, die er während einer Parade im blauen Kostüm, von Bärenfellträgern begleitet, vor leuchtender Handy-Reklame abgelichtet habe. Schnappschuss-Romantik statt Schmuddel-Optik."



Soweit, so gut.


Da habe ich mich doch sogleich an den netten Herausgeber in der Tiefe der westdeutschen Provinz (Regensburg) gewandt:


„Lieber Herr Schmid,


ich glaube, Sie verwechseln Wolfgang Tillmans mit Jürgen Teller! Beides Modefotografen der gleichen Generation. Aber: Tillmans wurde durchFotos der Techno-Generation bekannt,ansonsten mag er Schwulenkitsch. Nichts mit Schmuddelästhetik!
Dagegen hat Teller die berühmte Schmuddelreportage im SZ-Magazin gemacht "mit dem unbekleideten Modell Kristen McMenamy, die ungeschönt die körperlichen Strapazen und Blessuren der Modepräsentationen in einer Inszenierung wiedergab, auf deren Höhepunkt sich das Modell ein Versace-Herz auf den Körper malte.“ Das ist der Mann, den Sie meinen. Den versucht gerade die Galerie Contemporary Fine in Berlin unter dem Titel „zwei Schäuferle mit Kloß und eine Kinderportion Schnitzel mit Pommes Frites" auf dem Kunstmarkt zu etablieren. Zur Lektüre über Fotografie sei empfohlen: www.ikon-magazin.de


Beste Grüße aus Berlin“



Anmerkung:
Wenn man weiß, dass sich im Jahre 2002 nur 5% der kunsthistorischen Abschlussarbeiten an den deutschsprachigen Unis mit Fotografie beschäftigt haben, ist dieser Flop kein Zufall. Die Dimension des Tals der Ahnungslosen, in der 160 Jahre Mediengeschichte ausgeblendet werden, ist immens. Daher wird diese Rubrik „Flops – wer, warum, wo keine Ahnung hatte“ weiter geführt.



4. Diskussion mit Karlheinz Schmid zu : Schmuddel Tillmans? Und:
Herr Schuster!


K. S.
Sehr geehrter Herr Leuner, nun hören Sie doch mit dem Blödsinn auf, mir wiederholt
eine Verwechslung zu unterstellen. Wenn ich im Informationsdienst KUNST "Tillmans"
schreibe, meine ich auch Tillmans - und nicht Teller. Und noch was: Bitte mal in Ihren
alten Erdkunde-Atlas schauen. Regensburg hat mit der "westdeutschen Provinz"
nichts zu tun. Nachhilfe speziell für Sie, für die Abteilung Flop: Regensburg liegt in
Bayern, also nicht im Westen.


T. L.
Sehr geehrter Schmid, Ihre Rubrik in der Kunstzeitung "Schmid sagt: "Daumen runter" (So Hieß das doch wohl.) fand ich immer gut. Das war wirklich "Trash"! Dagegen ist Ihre Nehmerqualität nicht entsprechend ausgeprägt. Zur Sache: 1. Mit Tillmanns/Teller wollte ich Ihnen eine goldene Brücke bauen. Die Tillmansche Fotografie beruht auf der in England entwickelten Street-Fashion-Fotografie. Diese ist Ende der 60er Jahre in London entstanden und entwickelte sich aus der Street-Fotografie der Amerikaner und aus einer neuen Modeauffassung, die wesentlich "von der Straße" inspiriert ist.


Es gibt dazu sogar eine englische Modezeitung.Tillmanns hat diese Fotografie mit der neuen Deutschen Fotografie der 90er Jahre kombiniert (SZ-Magazin) und auf die Techno-Mode angewandt. Gegenüber der realistischeren Anwendung der Angelsachsen hat er ein deutsches lyrisches Element eingeführt. Mir ist nicht klar, welche Vorstellungen von Ästhetik Sie haben, um diese Fotografie als "schmuddelig" zu bezeichnen.
Ist Tellers Fotografie dann keine Kunst mehr, weil zu "schmuddelig"?


2. In Berlin bezeichnet man mit dem Begriff "Westdeutschland" alle Gebiete der früheren BRD. Gegensatz ist Ostdeutschland, ehemals DDR. "Regensburg liegt doch wohl in der BRD.Oder?


K. S.
Sehr geehrter Herr Leuner, bevor wir uns verkrampfen, versuche ich, mit einem kleinen Augenzwinkern, in einem letzten Anlauf in dieser Sache meine Position zu vermitteln. Glauben Sie mir: Ich kann durchaus "Nehmerqualität" zeigen. Indes: Wenn Tillmans (nicht "Tillmanns"!) z.B. einen Punk fotografiert, der auf den Stuhl pisst, dann ist
das die von mir im damaligen Zusammenhang zitierte "Schmuddel-Optik" (kein Missverständnis, bitte: Ich rufe gewiss nicht nach "sauberer" Kunst!). Da müssen Sie mir, mit Verlaub, keine Nachhilfe in Sachen Foto-Geschichte geben. Ihre freche Unterstellung, dass ich Tillmans und Teller verwechselt haben könnte, hat mich tüchtig geärgert. Okay?! Zweitens: Ich wohne und arbeite nicht nur in Regensburg, sondern
etwa gut die Hälfte des Monats in Berlin, Prenzlauer Berg. So weiß ich, was im Osten läuft, wo der Westen zu finden ist. Dennoch: Bayern liegt für mich im Süden. Und wir beide führen diesen albernen, unnötigen Dialog in der BRD. Okay?!


T. L.
Sehr geehrter Herr Schmid, wenn ich offene Türen einrenne, ist mir das bewusst. Natürlich habe ich Ihre Sympathie für die Fotografie bemerkt. Bedauerlicherweise bekommen aber die Leute die Duschen ab, die sich am weitesten aus dem Fenster lehnen. Sie kennen das ja. Wegen Tillmans möchte ich die Fakten zusammenfassen: Wir
sind uns darüber einig, dass die Tillmansche Bildsprache relativ ästhetisch, unaufgeregt oder konventionell ist (je nach Blickwinkel), wobei ihre große Qualität in der visuellen Klarheit liegt. In der Optik findet sich also kein “Schmuddel". Die Frage ist dann, sind die Bildsujets “schmuddelig" und ist “hinter den Kulissen³ fotografiert worden? Sie haben als Beispiel für “schmuddelig" das Foto von einem Mann mit Irokesenschnitt angeführt, der auf einen Stuhl pinkelt. Nur : Ein Punk, wie Sie meinen, ist er Typ nicht! Um mich mal selbst zu zitieren: In meinem gerade erschienenen Buch “Im Schatten des Adlers ­ Fotoreportage 1981- 85" können Sie im Kapitel “die Musikszene" echte Punks sehen. ­ Ich kann Ihnen ein Rezensionsexemplar zukommen
lassen, wenn es Sie interessiert. (Zur Information ist diesem E-Mail als Datei das Interview mit dem Tagesspiegel vom 09. November 03 beigefügt, in dem ich über das Thema des Buchs, die Subkultur Berlin/West Anfang der 80 er Jahr, befragt werde.)
In der Ausstellung “Unterbrochene Karrieren, Partnerschaft - Jochen Klein und Wolfgang Tillmans" NGBK Berlin(www.ngbk.de/start/index - zu finden unter Ausstellungen 2002) war deutlich erkennbar, dass Tillmans sich in einer schwulen
Subkultur bewegte. Es sind die Jungs, die mit Militäroutfit in den Darkroom gehen.
Sonderlich schmuddelig sind die nicht. Der Irokesenschnitt geht übrigens auf Scorcseses Taxi-Driver zurück und der hatte mit den Punk-Prolos nichts zu tun. Die Gewichtung der Arbeiten Tillmans sieht doch so aus: 1. Lebensgefühl der Techno-Generation (aus der Modefotografie entwickelt) ­ dafür hat er den Turner Preis bekommen. www.tate.org.uk/britain/exhibitions/tillmans/ 2. “Friends" ­ das Thema hat Nan Goldin schon vor über 10 Jahren gemacht. 3. Der schwule Aspekt ­ war für England eine Provokation beim Turner-Preis, bei uns aber mit einem Lord Mayor Wowereit kalter Kaffee. 4. Abstrakte Fotokunst - in der richtigen Erkenntnis, dass die bei der Fotoszene beliebte grafische “Fotokunst" schwächelt, hat er sie wieder eingestellt. 5. Neu das Stichwort “direkte "Fotografie" (passend zu Weskis “Cruel and Tender") - z.B. : Sein Beitrag in “Architektur der Obdachlosigkeit", Pinakothek der Moderne, München.
Spannend ist natürlich die Frage, warum Sie bei der Präsentation Tillmans inFrankfurt so ernüchtert waren. Hierzu einen kurzen Exkurs: Haben Sie “das Reale an der Rückholfeder³ von Walead Beshty in “Texte zur Kunst³ Nr. 51 vom September 03 über “Cruel and Tender³ gelesen? In dem Beitrag werden Weksi und Dexter vorgeworfen, sie transportierten ein naives Künstler-Bild und blenden entpolitisierend den Kontext aus. Dem derzeit wichtigsten Fotokurator Deutschlands wird “simplizistische Abhandlung des einmal gestellten Themas³ vorgeworfen. In der Tendenz ähnlich: Edgar Schwarz in “Kunstforum" Nr.166 S. 394. Das ist klar und leider richtig, zeigt aber, wie unreflektiert das kuratorische Niveau in der Fotografie ist. Dabei steht “Cruel und Tender" meilenweit über den Tiefen, die von den Honnefs mit “Von Körpern und anderen Dingen³ im Deutschen Historischen Museum Berlin produziert wurden.
Zu Ihnen zurück: Dieses naive Künstler-Bild wird auch von Tillmans geteilt das können Sie an seinen Künstlerbücher erkennen. Mehr und mehr wir der Kontext auch bei den älteren Bildern ausgeblendet, um so ein Künstler-Image zu schaffen hier : Etwas Bad Boy mit Schulensex. Dass er dieses Image eigentlich nicht aus füllen kann, ist Ihnen ja in Frankfurt auf die Füße gefallen.
Mich persönlich interessiert natürlich: Wann ist Tillmans denn in Ihr Wahr- nehmungsfeld getreten? Wohl doch erst, als er in der Bildenden Kunst aufgetaucht ist. Da ich auch die angewandte Fotografie im Auge hatte, kannte ich Tillmans Bilder schon aus den Zeitschriften
Publikationen in England. Gerade im Vergleich zu Teller waren sie deutlich pastelliger. Wenn man diese Vorgeschichte kennt, wirken Begriff wie “Schmuddeloptik" für Tillmans Bilder wie, “haben Sie hier nicht was verwechselt?".
Der eigentliche Konflikt im Hintergrund ist die völlige Ignoranz zwischen den beiden Bereichen, die sich mit Fotografie beschäftigen: Die Fotoszene auf der einen und die Bildende Kunst auf der anderen Seite. Die klassische Fotografie ignoriert (und verachtet) die Fotografie, die in der Bildende Kunst akzeptiert wird. Sie hat mit der sog. “Fotokunst³ einen eigenen Laden aufgemacht. Die Bildende Kunst sieht hingegen in der Fotografie eine Variante der “Neuen Medien" und blendet die Tatsache aus, dass die Fotografie 16o Jahre auf dem Buckel hat und das populärste bildnerische Medium der Gesellschaft ist. Diese seit über zwei Jahrzehnten bestehende Ignoranz beginnt sich erfreulicherweise langsam aufzuweichen ­ siehe z.B. die Ausstellung: - F.C. Gundlach / Zdenek Felix “Clear Vision" IHdP- Deichtorhallen, Hamburg.



Herr Schuster!


K. S.
Und in Sachen Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Was soll ich da noch anmerken? Deutlicher kann man's nicht schreiben; meinen Beitrag in der KUNSTZEITUNG kennen Sie. Mit besten Grüßen - Karlheinz Schmid


T. L.
3. Den Gedanke, die Museen Preußischer Kulturbesitz aufzuteilen, habe ich Zum ersten Mal von Schmidt-Wulffen gehört. Also ein Gedanke, der es wert ist durch dacht zu werden. Sie könnten Ihre Position ja auch weiterentwickeln. Auf den von Ihnen eingeschlagenen Weg habe Sie gegen Herrn Schuster keine Chance!
Beste Grüße aus Berlin - Thomas Leuner


K. S.
Drittens: Mein Freund Stephan Schmidt-Wulffen, der einst, vor etwa 20 Jahren, seinen ersten Kunst-Artikel bei mir veröffentlicht hat (ich war damals als "art"- Redakteur in Hamburg tätig), ist ein schlauer Kerl, und er hat viele Impulse für den großen Kunst-Diskurs gegeben. Zweifelsfrei. Indes:Die Zerschlagung des schwer fälligen Stiftungsdampfers in Berlin ist ein uraltes Thema, das schon viele Kulturpolitiker, Museumsleute und Kritiker vor ihm beschäftigt hat. Ich bin sicher, auch Sie haben genau verstanden, dass meine Attacke gegen Schuster als ein Angriff gegen die Machtkonzentration dieser Art gemeint war, also weit über die Personalie Schuster hinausreicht. Sie dürfen mir glauben: Ich weiß, was in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz läuft beziehungsweise klemmt, und ich bin allzeit bereit, Positionen zu entwickeln, auch das eigene Statement zu überprüfen. Schießlich bin ich, sorry, kein Klugscheißer, sondern schreibe ausschließlich über Dinge, von denen ich möglichst viel verstehe. Okay?! Nichts für ungut,
beste Grüße - Karlheinz Schmid


T. L.
Der Galerist Bodo Niemann hatte mir mal erzählt (Herr Schuster rauschte gerade aus der Galerie raus), er würde regelmäßig bei ihm vorbeischauen und sich historische Fotografien ansehen. Seine Bemühungen Schuster für moderne Fotografie zu interessieren, seien an ihm aber völlig abgeprallt. Wenn man die Initiativen in Hamburg (Gundlach) oder in München (Siemens/Pinakothek der Moderne) sieht und wie dort versucht wird, die groben Lücken in den Sammlungen zu schließen und sich für die Zukunft in Stellung zu bringen, kann einem für Berlin und die Bundes-Fotokultur nur schlecht werden. Nach den jüngsten Informationen von Enno Kaufhold wird in der Jebensstraße ein Helmut Newton Museum entstehen. Das DCP, das den Unterhalt des Hauses bestreitet, kann dort zwei Etagen für eigene Ausstellungen nutzen. In dem Museum geht es um Newtons eigene Sammlung, die sich überwiegend aus seinen Bildern zusammensetzt.
Weitere Austtellungsaktivitäten richten sich nach dem Geschmack des Hausherrn. Die anderen Fotografien der Sammlung Newton (deren Umfang unbekannt ist) bleiben in Monte Carlo. Das Trauerspiel geht weiter, wobei jetzt der abgestandene Geruch von Alt-Herrn-Sex in der Luft liegt. Konstruktive Überle gungen zur Bewältigung dieser Situation schließen sich danach wohl aus.
Beste Grüße zum ausgehenden Jahr - Thomas Leuner, Berlin-Kreuzberg


© Thomas Leuner, Dezember 2003



21.03.2005


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