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und digitalen Bildkunst
 

  Gespräch mit Gosbert Adler über den Katalog “DDR-Fotografie“ (1985) aus aktueller Sicht
von Thomas Leuner


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Im Jahre 1985 hast Du zusammen mit Wilmar Koenig die Ausstellung „DDR Foto“ kuratiert und einen umfangreichen Katalog herausgegeben. Zum ersten Mal wurde eine eigenständige Ostdeutsche Fotografie der westlichen Öffentlichkeit vorgestellt. Heute ist diese Fotografie bereits fest kanonisiert, wie die Ausstellung „Kunst und Revolte – die Übergangsgesellschaft, Porträts und Szenen 1980-1990“ in der Akademie der Künste Berlin am Pariser Platz zeigt. Wart ihr der Zeit voraus? Wie kam es dazu?


Gosbert Adler
Es ist nicht die erste Ausstellung mit Fotografie aus der DDR im westlichen Ausland gewesen. Aber es war die erste, die Fotografie als eigenständige Kunstform in der DDR versuchte aufzuzeigen, und die nicht das ganze parteiverordnete konventionelle und verherrlichende Bildmaterial mitschleppte.
Als ich 81 nach Berlin kam, hat es mich überrascht, daß so wenig Beziehungen zwischen den beiden Teilen der Stadt im Alltag spürbar waren. Meine Generation hatte auch keine aktiven familiären Bindungen mehr. Und meine Neugier auf die Welt hinter der Mauer schien mir wesentlich größer als in meiner Umgebung. Also fing ich an mich umzuhören, fragte mich durch. Und tatsächlich hatte es durchaus schon Kontakte gegeben, die aber wohl eher von Fotografen aus Ostberlin ausgingen, bzw. von deren Mittelmännern und Frauen. Wilmar Koenig hatte damals bereits Kontakte zumindest zu einem dieser Mittelsmänner gehabt und verfügt auch über ein paar weitere Namen. Daraus ist dann die Idee für ein Austellungsprojekt entstanden.
Unser erstes Ziel war aber die Recherche zur Befriedungung von Neugier und vielleicht auch ein wenig Abenteuerlust. Denn das Herstellen von Kontakten war ja fast eine konspirative Angelegenheit. Wir trafen uns in der Wohnung am Prenzlauer Berg von Barbara Metselaar Berthold. Sie hatte noch einige Freunde eingeladen, die für uns interessant sein konnten. Ich kann mich erinnern an Ulrich Wüst, Wolfgang Kil und Markus Hawlik.
Wir wußten nur wenig, hatten auch vorher kaum recherchiert, weil es ja nur offizielle Literatur gab, auf die wir nicht zurückgreifen wollten. Uns ging es eben nicht darum, Fotografie aus der DDR abzubilden, wir wollten hinter der Mauer junge Kollegen treffen, die vielleicht in einer ähnlichen Situation waren wie wir, am Anfang ihrer Karriere, am Anfang ihres professionellen Lebens. Die, wie man so schön sagt, am Start waren, und die gleiche Leidenschaft wie wir hatten. Das gibt dem projekt aus heutiger Sicht sicher immer noch etwas sehr subjektives, für das wir damals wie heute stark kritisiert worden sind, da unserer Auswahl an Arbeiten und Positionen, die nachvollziehbare (wissenschaftliche) Grundlage fehle (Rolf Sachsse).
Wir haben eben das direkte Gegenüber gesucht, und immer auch die Arbeitsbedingungen mit unseren eigenen verglichen. Das hat auch die Auswahl der Positionen bestimmt, weil darin auch eine Vielfalt an unterschiedlichen Positionen in der Gesellschaft der DDR sich abbildet. Wir waren nicht auf eine bestimmte Szene aus, dazu waren wir mit zu unterschiedlichen Lebens – und Arbeitsweisen in der DDR konfrontiert.



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Warum war das Herstellen von Kontakten eine fast konspirative Angelegenheit? Ihr hättet doch einfach zum Verband Bildender Künstler in Ostberlin gehen können, so nach dem Motto: „Guten Tag, wir wollen eine Ausstellung „DDR-Fotografie“ in West-Berlin organisieren? Können Sie uns Kontakte vermitteln?



Gosbert Adler


Weil wir ganz einfach davon ausgegangen sind, dass allein über einen offiziellen Kontakt hergestellt, sich keine unbeeinflusste, allein nach unseren Interessen zusammengestellte Ausstellung machen ließe. Außerdem ist hier noch wichtig, dass wir aus Westberlin kamen, für eine Westberliner Institution, die WERKSTATT FÜR FOTOGRAFIE arbeiteten. Zwischen Westberlin und der DDR gab es keine institutionalisierten Wege des Kulturaustausches, der Streit um den Status von Westberlin zwischen BRD und DDR ließ das nicht zu. Es gab kein Abkommen über kulturellen Austausch zwischen der DDR und Westberlin, dieses wäre jedoch notwendig gewesen, um eine einfache Zusammenarbeit zwischen dem Verband der Bildenden Künstler und der WERKSTATT FÜR FOTOGRAFIE oder anderen Kulturinstitutionen in Westberlin zu beginnen.


Wir hatten damals bereits vorher, auch um die Möglichkeiten einer finanziellen Förderung durch den Senat abzuklopfen, mit der Senatskulturverwaltung über solche Wege gesprochen. Dort hatte man eine rein Kulturellen Zwecken dienende Ausstellung für nicht möglich gehalten, und uns empfohlen, mit dem staatlichen Kunsthandel der DDR in Kontakt zu treten. Der Staatliche Kunsthandel der DDR war so etwas wie die große Galerie der DDR, über die der ganze internationale Handel mit Werken der Bildenden Kunst aus der DDR abgewickelt wurde. Wir hatten keinerlei kommerzielle Interessen, aber getarnt als„Verkaufsausstellung“ konnten wir offiziell mit DDR-Stellen in Kontakt treten.


Wir sprachen also in Westberlin mit Herrn Sticht, Direktor bei der Senatskulturverwaltung über das Projekt. Viele, die zu der Zeit als Künstler in Berlin gelebt haben, werden sich noch an ihn erinnern. Sticht vermittelte uns an einen Herrn Starr, der aus einer Keksdose, in der er wohl verschiedene Visitenkarten aufbewahrte, die Karte des Direktors der Staatlichen Kunsthandels zog, und empfahl uns direkt brieflich Kontakt aufzunehmen. Das haben wir getan und bekamen umgehend einen Terminvorschlag. Wir gingen also zum Direktor des Staatlichen Kunsthandels der DDR und schlugen ihm eine Ausstellung mit zeitgenössischer Fotografie der DDR in Westberlin vor. Er zog darauf nur einen dicken Katalog von einer großen Kunstausstellung der DDR aus dem Regal und fragte uns, welche der Fotografen uns denn interessieren würden. Wir nannten einige Namen, darauf erklärte er uns die weitere Vorgehensweise: wir würden bei unseren weiteren Recherchen von einem Angestellten seines Hauses direkt unterstützt. Dieser würde auch mit uns die nötigen Reisen in der DDR unternehmen und die Termine machen. Ferner bekamen wir als „Geschäftspartner“ der DDR ein sogenanntes Dienstvisum, das uns für ein Jahr den freien und vom sog. Zwangsumtausch befreiten Eintritt in die DDR gewährte. Ich war damals einerseits misstrauisch, weil der Start so leicht gewesen war, aber eben auch ein wenig geblendet von dem Entgegenkommen.


Wir hätten damals sicher auch eine „inoffizielle“ Ausstellung machen können, aber nach diesem leichten Start haben wir über diese Option nicht mehr nachgedacht. Man konnte damals immer Arbeiten aus der DDR herausschmuggeln lassen. Einige Künstler hatten fast so etwas wie Depots im Westen, auf welche man hätte zurückgreifen können. Geschmuggelt wurde von Privatleuten, Freunden, aber auch in manchem Diplomatengepäck.


Das haben wir aber damals nie ernsthaft in Erwägung gezogen oder auch nur diskutiert. Wir wollten alle Optionen behalten und keine Seite ausklammern. In einer inoffiziellen Ausstellung hätten wir nur noch ganz bestimmte Leute aus der DDR präsentieren können, denen es egal gewesen wäre, die in der DDR nicht oder nur wenig etabliert waren. Wir mussten allerdings die Einschränkung akzeptieren, dass nur Mitglieder des VBK (Verband Bildender Künstler der DDR) für unsere Ausstellung in Frage kommen würden. Aber nach Lage der Dinge war das kein Problem, da eh alle die uns interessierten, dort Mitglied waren.


Eines Morgens standen wir also zum zweiten Mal in der Direktion des Staatlichen Kunsthandels Unter den Linden und trafen unseren zuständigen Mitarbeiter. Das war ein sympathischer, junger Mann, Rainer Ebert, der dann mit uns zum ersten Termin fuhr. Mit Rainer Ebert sind wir dann später noch zu allen anderen Terminen mit den Künstlern gefahren. Wir haben uns aber darüber hinaus auch Privat noch weiter recherchiert. So hatten wir Rudolf Schäfer schon vorher kennengelernt, haben aber dann Ebert vorgespielt, ihn noch nicht zu kennen. Warum weiß ich heute selbst nicht mehr. Wir wollten den offiziellen Stellen wohl immer einen Schritt voraus zu sein.


Der Rest hat sich ergeben, auch deshalb weil Rainer Ebert vom Staatl. Kunsthandel selbst ein junger und neugieriger Mensch war, dem unsere Besuche bei Künstlern sicher auch Spaß gemacht haben, und der das ganze Projekt mit Interesse begleitet hat. Unsere Schwierigkeiten begannen erst, als sein etwas älterer und erfahrener Vorgesetzter, Rüdiger Küttner von einer längeren Reise zurückkehrte. Wer aber hier welche Entscheidungen treffen konnte, dass ist uns nie transparent geworden. Beide betreiben übrigens seit 1990 die „Galerie Berlin“ in der Auguststraße in Berlin-Mitte.



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Was für Schwierigkeiten?



Gosbert Adler


Als bereits alles fertig schien und wir mit der Produktion des Kataloges begonnen hatten, kam das Signal an uns, man müsse noch mal über das Projekt reden und vielleicht die Auswahl der Arbeiten oder Künstler modifizieren. Es gab aber keine Treffen mit einer höheren Ebene, sondern allein die Andeutungen von Ebert, er empfehle dringend und man müsste unbedingt usw.
Wir sind darauf eingegangen insofern, als wir uns noch eine andere Arbeit angesehen haben, die uns aber nicht interessierte, weil wir sie zu konventionell fanden. Dann ging es um die Nacktportraits von Gundula Schulze und auch um Thomas Florschuetz. Ich kann aber heute nicht mehr auseinanderhalten, wer wem was gesagt hat. Schließlich wurde uns mündlich mitgeteilt, dass der Staatliche Kunsthandel das Projekt absagt, damit war unsere Ausstellung gestorben, obwohl der Katalog bereits halb produziert war.



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Nochmals zurück zu eurer Recherche. Wie ging es nach den ersten Kontakten weiter?



Gosbert Adler


Wie gesagt, wir redeten einerseits mit Ebert über die möglichen Künstler für unser Ausstellungsprojekt, wir sprachen aber auch unabhängig von ihm mit den Künstlern jeweils über weitere interessante Positionen. So wurde uns z. B. Gundula Schulze von Rudolf Schäfer empfohlen. Gundula Schulze wiederum hat uns an Thomas Florschuetz weitervermittelt.


Wir hatten aber auch mindestens drei Leute auf unserer Liste, die für unser Projekt nicht mehr in Frage kamen, weil sie einen Ausreiseantrag gestellt hatten. Das haben wir immer akzeptiert, weil wir die Zusammenarbeit wollten und uns Dissidententum in diesem Zusammenhang nicht interessierte. Ich war neugierig auf die DDR und hatte über eine gewisse Dauer auch ein positives Vorurteil, dass ich wahrscheinlich einfach gegen das vorherrschende negative eingetauscht hatte.


Ein Grund dafür war sicher auch, dass wir eine äußerst vital wirkende Szene in Ostberlin kennenlernten, die vielleicht klein und überschaubar war, aber eben auch sehr produktiv. Uns sind damals eine ganze Menge Leute über den Weg gelaufen, natürlich auch welche, die nach der Wende auch zu negativen Berühmtheiten wurden, wie Sascha Anderson zum Beispiel.


Wir haben auch einige Leute mit nach Ostberlin gebracht, wir waren z. B. mit John Gossage bei Rudolf Schäfer und anderen. Daran kann ich mich noch gut erinnern, weil wir mit Gossage und Schäfer gemeinsam Arno Fischer besuchten, bei dem an diesem Abend Helmut Newton zu Besuch war. Auch mit Paul Graham haben wir damals Kollegen in Ostberlin besucht.


Dann hatten wir ja auch die Zusage von der Senatskulturverwaltung über eine finanzielle Förderung des Kataloges, bekamen darüber hinaus noch Mittel vom Ministerium für innerdeutsche Beziehungen und der Krupp-Stiftung. Parallel versuchten wir weitere Institutionen für die Ausstellung zu bekommen und das Interesse war recht groß.



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Die Ausstellung mit dem Katalog fand im Jahre 1985 statt, also 4 Jahre vor dem Mauerfall. Ihr ward Zeitzeugen in einer Epoche, in dem das Ende der DDR als totalitärer Staat noch nicht absehbar war. Wie wird denn der Vorwurf der „unwissenschaftlichen“ Herangehensweise bei dieser Ausgangslage begründet?



Gosbert Adler


Die Frage ist doch eher, ob das für uns überhaupt ein Kriterium war? Und das war es sicher nicht. Wir hatten unser „unwissenschaftliches“ Konzept einer Recherche, die nach vergleichbaren Lebenssituationen sucht, nach begonnenen, künstlerischen Biografien, die der eigenen ähnlich sein können. Daher auch die sehr subjektiv geführten Interviews.



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Künstler als Kuratoren – heute ist das sicherlich ein selbstverständliches Konzept. Damals klang das möglicherweise etwas vermessen oder naiv. Was waren das für Interviews, die ihr geführt habt und unter welchen Gesichtspunkten habt ihr die Fotografen ausgewählt.



Gosbert Adler


Wir hatten zuerst ein Gespräch in der Gruppe geführt und aufgezeichnet. Beteiligt waren Wolfgang Gregor, Rudolf Schäfer, Wolfgang Kil und Christian Borchert. Es war aber wenig ergiebig, so haben wir entschieden, dass ich einzelne Interviews führe und Koenig die Portraits der beteiligten Fotografen macht.


Ich hatte keine Erfahrungen mit Interviews, aber eine Vorstellung davon, wie das als geschriebener Dialog aussehen könnte. Ich wollte die Begegnung von zwei Individuen und auch meine Einschätzung zum Ausdruck bringen. Das ist mir vielleicht mal mehr mal weniger gelungen, aber grundsätzlich finde ich diese Interviews auch heute noch interessant.


Rolf Sachsse hat mal auf irgendeiner Tagung dazu gesagt, unsere Vorgehensweise sie ja total unwissenschaftlich gewesen, und daher sei das Projekt auch heute von keinerlei Interesse mehr. Ersteres hat er sicher richtig erkannt, aber seine Schlussfolgerung ist natürlich Unsinn.


Die Krupp-Stiftung hat vor einigen Jahren eine Publikation gemacht, in der sie ihre Förderungen in den neuen Bundesländern und auch der DDR vorstellte. In diesem Zusammenhang haben sie mir einen Journalisten ins Haus geschickt, der als ehemaliger DDR-Bürger wieder ganz ander Vorbehalte gegen unser Projekt zeigte. Er zählte die Erfolge vor allem von Rudolf Schäfer auf und meinte daraus schließen zu müssen, dass es unserer Publikation dazu nicht bedürft hätte. Sie sei eigentlich überflüssig gewesen. Schließlich hätten sie unserer Hilfe nicht bedurft.


Beides hat mich überrascht, auch wenn es einfach zu durchschauen ist. Rolf Sachse hat wohl selbst mal eine Ausstellung mit Fotografie aus der DDR gemacht oder war daran beteiligt und die hält er natürlich für besser. Und in dem anderen Fall wird uns eine Haltung unterstellt, die erst nach dem Mauerfall sich zum Konflikt zwischen den deutschen Brüdern und Schwestern entwickelte. Für manchen war es sicher unangenehm, dass wir, fast noch als Studenten, mit scheinbar unendlichen Möglichkeiten gesegnet aus dem Westen anreisten, und über die Arbeiten von gestandenen Fotografen befinden konnten.


Die Fotografen haben wir nach den Arbeiten ausgewählt. Und unsere Perspektive, unsere Kriterien waren natürlich andere, als die der Kollegen in der DDR. Wahrscheinlich haben wir so auch Hierarchien verschoben. Genau so wie durch unsere Anwesenheit, durch unser Agieren, unsere Möglichkeiten.


Die Auswahl der Arbeiten war im Grunde sehr simpel. Wir haben einfach die ausgesucht, die nicht konventionell waren. Es gab damals in der DDR wie überall, eine Menge Fotografen die im Stile der 50er Jahre arbeiteten. Wir haben die gesucht, die auf neuen Wegen unterwegs waren. Das war nicht einmal besonders schwer, weil die Szene so klein und überschaubar war. Wir haben sicher die ein oder andere Position übersehen, und auch das Potential vielleicht falsch eingeschätzt. Das ist aber egal, weil es immer noch eine gute Momentaufnahme von Mitte der achtziger Jahre darstellt. Relativiert natürlich durch die Bedingungen: Mitglied oder Kandidat im Verband Bildender Künstler, kein Ausreiseantrag laufen. Also Menschen aus der (weit gefassten) Mitte der DDR-Gesellschaft, auch wenn sich manche eher an ihrer Peripherie angesiedelt hatten.



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In den 70er und 80er Jahren gab es trotz Mauerbaus einen regen offiziellen und inoffiziellen kulturellen Austausch zwischen West und Ost. Wenn ich dich richtige verstehe, gilt das auch für die Fotografie. Wieweit waren die DDR-Fotografen, die du kennengelernt hattest, vertraut mit der westlichen Fotokunst?



Gosbert Adler


Das kann ich in der Rückschau und verallgemeinernd für Alle schwer beantworten. Sie waren schon informiert, aber kannten natürlich viele Arbeiten, die für uns in Westdeutschland aktuell wichtig waren, nicht. Aber die „westliche Fotokunst“ führte eben auch im Westen noch ein Nischendasein. Das also bestimmte Bücher oder Ausstellungen, für die wir selbst weite Strecken fahren mussten, in der DDR noch nicht bekannt waren, ist da nicht weiter verwunderlich. Aber viele verfügten doch über ausreichende Kontakte, auch privater Natur, in den Westen, um sowohl an die Technik (Kameras usw.) als auch an Informationen zu gelangen.


Der Fotojournalismus hat eine große Zeit gehabt in den westdeutschen Printmedien der 70er Jahre. Und das wurde in der DDR natürlich auch wahrgenommen. Die meisten der Fotografen, die wir vorgestellt hatten, haben ja in der DDR auch in irgendeiner Form angewandt gearbeitet. Es war eine sehr große Nähe zur journalistischen Fotografie. Die künstlerischen Konzepte speisten sich zum Teil stark aus dem Fundus der sozial engagierten, „aus dem Leben berichtenden“ Fotografie, die ihren Platz sowohl in den Printmedien, als auch in den Ausstellungsräumen hatte. Das Modell eines Fotokünstlers, der allein für Galerien arbeitet, vom Verkauf seiner Werke an Sammler und vielleicht Museen lebt, war in der DDR so neu wie im Westen. Aber man konnte von künstlerischer Fotografie in der DDR leben. Bedingung war sicher, dass man keine hohen finanziellen Erwartungen hatte, Mitglied im VBK war und so auch in den Genuss von Aufträgen kam, die von den staatlichen Betrieben an Künstler vergeben wurden.



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Mittlerweile wird sogar von einer Leipziger (Foto)-Schule gesprochen (Kunsthalle Erfurt) „die andere Leipziger Schule“ " kunsthalle-erfurt.de/ausstellungen/detail, also von einer eigenständigen DDR-Fotografie, die sich von der europäischen und besonders von der bundesrepublikanischen unterschieden hat. Wie war damals euere Einschätzung? Hat sie sich diese Einschätzung aus der heutigen Perspektive geändert?



Gosbert Adler


Der Titel dieser Ausstellung findet ja sein gegenüber nicht in der Fotografie des Westens, sondern in der sogenannten „neuen Leipziger Schule“, als eine Richtung der zeitgenössischen Malerei. Das es unter den politischen Bedingungen in der DDR, mit einem doch hohen Grad an Isolation, einen Ort, eine Schule gegeben hat, an dem fast alle mal waren, ist ja nicht weiter verwunderlich, denn andere Schulen gab es nicht.


Dass es Unterschiede zwischen DDR und BRD geben musste, kann auch nicht wirklich überraschen. Die entscheidende Frage ist doch, ob dort etwas entstanden ist, dass Stilbildend über die DDR hinaus, auch über die zeitliche Existenz der DDR hinaus wirksam ist. Und das sehe ich nicht.
Ich sehe einzelne Positionen, manche die herausragen, aber ich sehe viel weniger Gemeinsamkeiten zwischen den Fotografen, als man in der Rückschau unterstellen mag. Dann hat diese Ausstellung einfach auch das Problem, dass fast alle Fotografen in Leipzig studiert oder auch unterrichtet haben, aber einige wenige – aber wichtige – eben nicht. Die fehlen dann eben mal! Das ist in einer solch überschaubaren Szene, Konzept hin oder her, ein echtes Manko, und wird dann der Fotografie in der DDR auch nicht gerecht.
Wir sind ja in die DDR gegangen, weil wir Unterschiede erwartet und auch gesucht hatten. Und die gab es natürlich auch. Aber die waren nicht so signifikant, dass man sich auf einem kulturell anderen Planeten gewähnt hätte.



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Kann man in der Rückschau überhaupt von einer eigenständigen DDR-Fotografie sprechen?



Gosbert Adler


Wenn man die Werke der Fotografen, natürlich auch derer die in unserer
Auswahl aus verschiedenen Gründen nicht vertreten waren, anschaut, dann findet man natürlich Parallelen und Gemeinsamkeiten in der Herangehensweise und den Themen. Und in den besten Arbeiten schimmert immer sehr viel DDR durch, weil sie einfach Auseinandersetzungen mit der Lebensrealität in der DDR waren. Darin konnten sie auf sehr individuelle Weise auch sehr modern und zeitgemäß sein, wie z.B. bei Thomas Florschuetz. Aber von den individuellen Leistungen abgesehen, gab es keinen künstlerischen Kanon der DDR-Fotografie. Wenn es Überschneidungen gab, dann in der Tradition einer sozialdokumentarischen Fotografie. Diese wurde aber in anderen europäischen Ländern genauso gepflegt.
Es hat meines Wissens auch keine Künstlergruppen gegeben, die sich allein mit Fotografie beschäftigt hätten. Es gab eben nur den staatlich verordneten Zusammenschluss, aber nicht den inneren, künstlerischen. Es gab keine Bewegung in der Fotografie der DDR. Ein zentraler Ort war die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Die herausragende Lehrerpersönlichkeit dort war seit Anfang der 80er Evelyn Richter. Sehr viele - fast alle, sind durch diese Schule gegangen. Aber von einer Leipziger Schule kann man zu dieser Zeit dennoch nicht sprechen, dazu waren die Lehrinhalte in den einzelnen Klassen zu divergierend und die sogenannten „gesellschaftlichen Anforderungen“ an die Ausbildung dort zu bestimmend.



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Der Fall der Mauer 1989 stellte für die DDR-Bürger ein außerordentliches Ereignis dar mit häufig einschneidenden biografischen Zäsuren. Sicherlich trifft das auch für die Fotografen der ehemaligen DDR zu, da das Medium Fotografie an der Realität orientiert ist.
Wie sind die Künstler/Fotografen, die du durch das Projekt „DDR Foto“ kennen gelernt hattest, mit diesem Umbruch und den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen umgegangen?



Gosbert Adler


Der Grad von Etabliertheit im DDR-System war sehr unterschiedlich, wenn man allein das Äußere betrachtet: Der Eine lebte im eigen Haus mit Garten und Atelier, der Andere im Hinterhof, in einer besetzten (auch das gab es) Zwei-Zimmer-Wohnung im Prenzlauer Berg. Aber alle hatten ihre feinen Strategien entwickelt, mit den Bedingungen in dem Staat umzugehen. Darin waren sie sich durchaus ähnlich, auch wenn die Strategien sehr unterschiedlich waren. Und so ergaben sich natürlich auch jeweils andere Voraussetzungen beim Mauerfall. Aber ob jemand als Künstler präsent geblieben ist, dass wird wohl von sehr vielen unterschiedlichen, auch sehr persönlichen Faktoren bestimmt.


Letztendlich ist es aber nicht anders als bei Fotografen aus Bochum oder Bayern, manche verschwinden aus der Öffentlichkeit, manche tauchen aber auch wieder auf, über einige hört man gerüchteweise etwas, andere stehen in der Öffentlichkeit. Florschütz, Ulrich Wüst und Gundula Schulze sind mit ihren Arbeiten präsent geblieben. Christian Borchert ist leider schon verstorben. Von einigen weis ich, was sie heute machen, von anderen nicht. Nach der Wende war die Aufmerksamkeit sehr groß. Kunst aus dem Osten war ein großes Thema, auch im europäischen Ausland. Das konnte sicher hilfreich sein.
Aber einige, die sich in der DDR noch stark mit ihrem Umfeld auseinandergesetzt hatten, wie z. B. Florschütz und Schulze, haben nach dem Mauerfall so nicht weiter gearbeitet. Meiner Ansicht nach hat es starke Verschiebungen in den jeweiligen Arbeiten gegeben. Bei Gundula Schulze denke ich schon, dass dies mit dem Verlust des Umfeldes DDR zu tun hatte. Aber eine Künstler-Karriere ist eh kein vorgesteckter Parcours.



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Vielen Dank für das Gespräch.



Das Gespräch führte Thomas Leuner



Gosbert Adler ist Fotograf und Professor an der HdK Braunschweig
www.hbk-bs.de/hochschule/personen/gosbert-adler
www.galerie-obrist.de/gosbert_adler1.html


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Adler, Gosbert & Koenig, Wilma
DDR Foto. Wolfgang Gregor, Ralf Rainer Wasse, Christian Borchert, Rudolf Schäfer, Thomas Florschuetz, Ulrich Wüst, Gundula Schulze.
Berlin / Verein der Freunde der Werkstatt für Fotografie / 1985 / 116 S. / kt. / 8° / ill. / GH/CA, Pasadena, Ca.; RHK / Katalog / Photographie - Anthologie - Deutschland, DDR - 20. Jahrh. - Gregor, Wolfgang - Wasse, Ralf Rainer - Borchert, Christian - Schäfer, Rudolf - Florschuetz, Thomas - Wüst, Ulrich - Schulze, Gundula - Adler, Gosbert - Koenig, Wilmar /


02.08.2010