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Der Fotobuchmarkt boomt (nicht)

von Thomas Wiegand


Die ZEIT berichtete in ihrer Ausgabe vom 15.9.2011 in ihrer Rubrik Kunstmarkt über die bevorstehende Auktion von Architekturfotografien und Fotobüchern bei Bassenge in Berlin. Garniert war der Beitrag von Stefan Koldehoff einerseits mit einem attraktiven und allseits bekannten Klassiker, William Eggleston´s Guide (1976), andererseits wurden bei dieser Gelegenheit gleich drei neue Bücher zum Thema „Fotobuch“ vorgestellt. Die ZEIT hat es offenbar noch nicht gemerkt: Die Goldgräberstimmung im lange Zeit übersehenen Bereich des Fotobuchs (im Sinne eines geschlossenen und einflussreichen Werks) ist schon wieder vorbei.


Keine Beschäftigung mit dem Thema Fotobuch kommt seit Jahren ohne die Namen Roth, Parr und Badger aus, sind doch damit die wesentlichen Wegweiser für die Jagd nach dem wertvollen Buch genannt. Die einschlägig bekannten, zu Standardwerken avancierten Bände von Parr und Badger, die keinen Kanon definieren wollten, es de facto aber taten, erreichten fünfstellige Auflagen und befeuerten den Markt. Was durch das Raster der Autoren fiel, hatte schon damals keine Chance auf Aufmerksamkeit (und das Erreichen höherer Preise). Die Schere zwischen Kanon und dem Rest klafft seitdem weit auseinander. Die in Koldehoffs Kunstmarktartikel beschriebene Euphorie der Sammlerszene hat sich, angesichts der in Berlin zu Stande gekommenen Verkäufe als nicht mehr existent erwiesen. Ein Drittel der Lots blieb ganz ohne Gebote!
Die Wirtschaftskrise hat sich offenbar auch auf den Handel mit Fotobüchern ausgewirkt und die ehrfürchtig zitierten hohen Preise für die Klassiker wirken in einer solchen Situation nicht anders als kontraproduktiv. Wie soll man einem Interessenten begreiflich machen, dass ein „originaler“ Eggleston für 500 Euro – wohlgemerkt ein tausendfach gedrucktes Buch – ein gutes Angebot wäre? Wie soll man die in der ZEIT beiläufig beschriebene Rendite-Erwartung bei solchen Einstiegspreisen als plausibel begründen? Wenn nur die Rendite zählt, muss man sich nicht wundern, wenn die Karawane der Schnäppchenjäger weiterzieht, sobald das Angebot die Nachfrage übersteigt. Und dieser Fall scheint seit einiger Zeit eingetreten zu sein. Schon das Ergebnis einer kurzen Recherche im WWW ergibt für Egglestons Buch Preise, die bei 120 Euro beginnen und für signierte Exemplare fast beim Zwanzigfachen enden, was diese zu Ladenhütern macht. Die von Koldehoff als „moderat“ bezeichneten 500 Euro für den Schätzpreis der Berliner Auktion ist ein weltweiter Mittelwert für ein sehr gutes Exemplar der Erstausgabe von 1976. Am Ende konnte Bassenge nur (oder immerhin) 440 Euro (zuzüglich Aufgeld etc.) realisieren... Der Blick ins Internet hätte außerdem gezeigt, dass etwa 30 Exemplare des Buches auf dem Markt sind. Das ist reichlich, denn man darf davon ausgehen, dass die avancierten Sammler das Buch schon lange im Regal stehen haben – es müssten also 30 neue Interessenten gefunden werden, bevor das Buch überhaupt wegen seiner Seltenheit in den Bereich der Rarität kommen würde. Denn als selten gilt, was gar nicht oder höchstens drei, vier Mal angeboten wird. Zudem gibt es einen Reprint, der wohlfeil und in identischer Anmutung Egglestons Meisterwerk zugänglich macht – freilich ohne die Aura eines Originals.


Als Autor eines der drei zum Thema Fotobuch in letzter Zeit erschienenen und in der ZEIT erwähnten Werke muss ich mich fragen, warum ein „Fotobuch“ derzeit nur noch durch die Brille des Wertes gesehen wird. Vermutlich gehört dieser Aspekt zwingend dazu und selbst den beiden Kuratoren der Ausstellung „Eyes on Paris“ (Deichtorhallen Hamburg) rutschte bei ihrer Führung zur Eröffnung der Schau mehrfach die Gleichsetzung von Seltenheit und Wert in Bezug auf einige der präsentierten Bücher heraus. Dass die Paris-Bücher auch noch andere Qualitäten haben, wurde keineswegs unterschlagen; die sehenswerte Ausstellung und der zugehörige Katalog handelt gerade davon! Aber das Publikum ist natürlich, ob zum Thema Paris oder zum Thema Deutschland, am leichtesten mit der Rarität des Gezeigten zu erreichen und zu beeindrucken. Die derzeit verlangten Preise aber will niemand mehr bezahlen. Also wird sich der Marktwert neu finden und morgen so und übermorgen ganz anders sein. Der Wert der Fotobücher für Kunst und Geschichte wird bleiben, welche Preise auch immer in Auktionen erzielt oder im Handel verlangt werden. Diesen ideellen Wert zu vermitteln ist die entscheidende Aufgabe der neuen Bücher über Fotobücher. Da besteht noch immer ein großer Bedarf an Aufklärung über und im Umgang mit der „Ware“ Fotobuch. Man kann nur hoffen, dass die jüngst erschienenen und die angekündigten Werke nicht in das Loch fallen werden, das sich jetzt am Markt aufzutun scheint.


So gesehen finde ich die Platzierung der Hinweise auf die drei Fotobuch-Bücher in einem Beitrag über den Kunstmarkt – wie in der ZEIT geschehen – als unglücklich. Eine längst überfällige Diskussion über die Ausprägung, Qualität und Bedeutung von Fotobüchern muss sich endlich von der fatalen, ehrfurchtsvoll gestellten Frage nach dem Marktwert lösen, wenn sie in Gang kommen bzw. Fortschritte machen soll. Die jetzige Krise zeigt deutlich, dass das Schielen auf Renditen gut für das Wecken der öffentlichen Aufmerksamkeit war. Jedoch wäre es sehr bedauerlich, wenn das Spektakel nicht die nachhaltige Wirkung angestossen hätte, die sich die Autoren der Fotobuch-Bücher für ihr Metier erhofften.


Thomas Wiegand

28.09.2011


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Schlagworte: Kunstmarkt, Fotobuchmarkt, Fotobücher, Bassenge, Auktion, Fotobuch, Eyes on Paris, Parr, Badger