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Texte zur zeitgenössischen Fotografie und digitalen Bildkunst
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von Anna Eibl


Drei Ausstellungen, viele Erwartungen und eine Frage: Was bleibt?


Mit dem von Thomas Weski initiierten Ausstellungstriathlon im Winter 2016/2017 (www.co-berlin.org/werkstatt-fuer-photographie-1976-1986) sollte die fast in Vergessenheit geratene Werkstatt für Photographie einem breiteren Publikum nähergebracht werden – nicht nur als Institution, sondern auch in ihrer nationalen wie internationalen Auswirkung auf die Fotografie ihrer Zeit.


Auf Grundlage der Evaluation zu der Teilausstellung Kreuzberg – Amerika. Werkstatt für Photographie 1976 – 1986 im C/O Berlin werden im Folgenden einige Gedanken zu dem Ausstellungsprojekt und seiner Resonanz entwickelt.
PDF-Datei zum Herunterladen:
tinyurl.com/ybxgmc82


Die drei austragenden Häuser und ihre jeweiligen Kuratoren setzten verschiedene Schwerpunkte bei der Aufarbeitung dieses in der öffentlichen Wahrnehmung unterrepräsentierten Kapitels der Fotografiegeschichte: vom transatlantischen Austausch über die Emanzipation der Fotografie bis hin zu neuen publizistischen und institutionellen Infrastrukturen.


Dabei verwundert es nicht, dass die Aufarbeitung der transatlantischen Beziehungen sowie der stilistischen wie thematischen Beeinflussung der Fotografen untereinander an C/O Berlin ging. Schließlich stellen die Ausstellungsräume der Galerie im Amerika Haus eine ganz spezielle Verbindung zur Geschichte der Werkstatt her. Mit der finanziellen Unterstützung durch das Amerika Haus gelang es damals, eine Vielzahl an amerikanischen Fotografen nach Berlin einzuladen und so den Austausch überhaupt erst zu initiieren.


In Zeiten der kulturellen wie ästhetischen Gleichschaltung und Kanonisierung ist die Entscheidung der Ausstellungsmacher, sich einem kaum vertretenen und daher zunächst massenuntauglich erscheinenden Sujet zu verschreiben, äußerst erfrischend und anregend. Neue Perspektiven auf die deutsche Fotografiegeschichte werden ermöglicht und untermauern so das Bild einer heterogenen künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Medium in Deutschland.


Belohnt wurde dieser Mut mit einem breit gefächerten Medienecho. Neben der Einzigartigkeit des Sujets wurde diese starke Resonanz sicher auch aus der speziellen Trias der Orte gespeist. Schon im Vorfeld wurde das Mammutprojekt von der Presse mit großer Euphorie gewürdigt. Hoffnungen wurden geschürt und Erwartungen geweckt.


Es bleibt zu fragen: Welche Auswirkungen hatte die Ausstellung auf die öffentliche Wahrnehmung und die Rezeption im Nachhinein und was bleibt von der anfänglichen Euphorie tatsächlich übrig? Konnten die Hoffnungen und Erwartungen erfüllt werden?


Mithilfe der auf fotokritik.de zugänglichen Evaluation zur Ausstellung Kreuzberg – Amerika. Werkstatt für Photographie 1976 – 1986 wird versucht, Antworten auf diese Fragen zu finden. Das als PDF zusammengestellte Konvolut ist eine Bestandsaufnahme aller Dokumente und Drucksachen, die für die Ausstellung oder aber als Resonanz darauf entstanden sind. Das Dokument lässt sich grob in zwei Hälften gliedern.


Die erste Hälfte archiviert die intern zusammengetragenen Daten und eigens erstellten Dokumente, wie beispielsweise Besucherzahlen, Installationsansichten und Drucksachen. Auch die in verschiedenen Newslettern beworbenen und dokumentierten Angebote zum Rahmenprogramm der Ausstellung sind sehr informativ und illustrieren das Ausstellungskonzept zusätzlich. Hier werden die Fakten geliefert, auf deren Grundlage sich eine Aussage über die Umsetzung und Wirkung der Ausstellung und ihre Ergebnisse treffen lässt.


Die Anzahl von durchschnittlich mehr als 500 Besuchern pro Tag alleine im C/O Berlin unterstreicht das große öffentliche Interesse. Ob die Erwartungen der Besucher erfüllt wurden und wie das Gezeigte von ihnen beurteilt wird, darüber gibt die Dokumentation der Besucherstimmen Auskunft. In den Reaktionen auf den Social-Media-Kanälen und den Kommentaren im Gästebuch spiegeln sich die Eindrücke unmittelbar nach dem Ausstellungsbesuch wider. Die Kommentare reichen dabei von „besonders bewegend“ bis „belanglose Fotos“ (1) und bilden ein äußerst vielfältiges Meinungsbild ab, das aber auch viele neue Fragen aufwirft, da die knappen Aussagen kaum begründet sind.


Warum „belanglos“? Weil die Bilder teilweise nicht in den Kanon der Fotografiegeschichte aufgenommen worden sind? Wird die individuelle Ästhetik der Bilder dadurch weniger wertvoll oder wirken die Tabubrüche auf den heutigen Betrachter langweilig? Für welchen Besucher war das Gesehene „bewegend“? Für einen, der in den 1980er-Jahren selbst im Umkreis der Werkstatt tätig war und sich nun in die alten Zeiten zurückversetzt findet? Erschöpft sich die Relevanz der Fotografien heute etwa in ihrem Status als Zeitdokument? Oder anders gefragt: Ist es nicht besonders wichtig, sich in unserer schnelllebigen Zeit auf die Ästhetik des Verschwindenden zu besinnen?


Die sehr persönlich geprägten Aussagen der Besucher im Gästebuch bieten einen wunderbaren Einstieg in die Thematik und zeigen, was die Werkstatt und die in ihr hervorgebrachten Arbeiten für den heutigen Betrachter auf einer ganz individuellen Ebene bedeuten können. Die ausführlicheren Presseartikel im zweiten Teil der Evaluation hingegen stellen die Institution in einen größeren Gesamtkontext und eignen sich somit mehr zur Beantwortung der Frage nach der fachlichen Relevanz. Insgesamt spricht aus ihnen eine große Euphorie, die von der durch die Kuratoren formulierten Hoffnung auf eine Renaissance der Werkstatt gespeist wird. (2)


Wie ein Mantra zieht sich die Forderung nach einer Neuschreibung der Fotografiegeschichte durch die vor Ausstellungsbeginn erschienenen Artikel. Aus der Masse hervorzuheben ist hier der Artikel aus der Camera Austria. Dieser stellt den aus dem Pressematerial entnommenen Informationen fundierte kunsthistorische Überlegungen zur Emanzipation der Fotografie an die Seite und kommt so der Aufforderung nach einer Neuordnung der Geschichte wohl am nächsten. Gleichzeitig ergeht hier aber auch der Aufruf zu einer noch zu leistenden „kunst- und fotohistorische[n] Analyse […] der Herausbildung eines neuartigen dokumentarischen Stils“. (3)


Insgesamt aussagekräftiger sind vor allem die nach der Eröffnung am 09.12.2016 erschienenen Beiträge. Auf der Basis des tatsächlichen Ausstellungsbesuchs formulieren die Autoren in ihnen eigenständige Gedanken und Urteile.


So finden sich auch konstruktiv-kritische Töne, wie beispielsweise in dem Artikel von Christoph Schaden, erschienen in der Photonews vom 01.02.2017. Kritisiert wird die Ausblendung des politisch-historischen Kontextes der 1980er-Jahre und der Aufbau der Berliner Schau, die sich „darauf beschränkt, die fotografische Westanlehnung als ein Spiel der Adaptionen zu erzählen“ (4). In dem bereits zitierten Artikel der Camera Austria arbeitet Haberkorn durchaus einen Dialog und damit mehrdimensionale Verstrickungen zwischen den deutschen und amerikanischen Fotografen heraus, räumt aber auch das Fehlen einer „Analyse dieser wechselseitigen Beeinflussung“ (5) ein.


Die noch ausstehende Aufarbeitung der Bedeutung des politisch-gesellschaftlichen Zeitbezugs für die Arbeit der Werkstatt und des neuartigen Stils wird an mehreren Stellen gefordert. Nicht nur wird die Einbettung in den historischen Kontext der 1980er-Jahre vermisst, es werden auch immer wieder der Geist und das Erbe der 68er heraufbeschworen. Andere, wie Susanne Lenz in der BZ, beschränken sich auf die Deutung der Bilder von Schmidt als reine Zeitzeugen von etwas, „das es nicht mehr gibt: West-Berlin“. (6) Die im Gästebuch anklingende und persönlich gefärbte Nostalgie würde durch eine Analyse des Zeitbezugs einen wissenschaftlich fundierten Gegenpol bekommen. Die Fotografien erhielten dadurch die Chance, über eine Deutung als reines Zeitdokument hinauszuwachsen, und so bestenfalls auch Rückschlüsse auf die aktuelle gesellschaftliche und politische Rolle der zeitgenössischen Fotografie zu ermöglichen.


Dass die gezeigten Arbeiten durchaus unter dem Aspekt der Aktualität zu lesen seien, vor allem im Hinblick auf ihre Ästhetik, formuliert unter anderem Thomas Weski in einem Interview mit Daniel A. Schacht in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. In der medialen Realität unserer Tage sieht er eine „ästhetische Standardisierung“ um sich greifen, gegen die es künstlerisch anzukämpfen gelte. „Es ist heute noch dringender, eine persönliche Sicht auf die Welt zu formulieren, die sich eben nicht in diesen erprobten Ästhetiken erschöpft.“ (7) Mit seinem Ausstellungsprojekt unterstützt Weski definitiv die Vielfalt und Pluralität ästhetischer Konzepte und setzt dem Einheitsbrei digitaler Netzwerke etwas entgegen. Stefanie Dörre sieht die „aktuelle Wirkmächtigkeit der Werkstatt“ ausgedrückt in den „Arbeiten von Tobias Zielony, Sven Johne, Annette Kelm, Viktoria Binschtok oder Laura Bielau“. (8)


Überwiegend fällt die Resonanz in der Presse äußerst positiv aus und bestätigt somit glaubwürdig die Relevanz einer Aufarbeitung dieses Kapitels deutscher Fotografiegeschichte. Liest man etwa von Kolja Reichert nach dem Ausstellungsbesuch in der FAZ: „Es ist eine wichtige, lohnende und lange überfällige Vervollständigung der Fotografiegeschichte“ (9), so erhält das Anliegen der Ausstellungsmacher Substanz und Authentizität. Im Gegensatz zu dem formelhaften Wiederkäuen in früheren Artikeln bestätigen auch die ehrlichen Worte von Brigitte Werneburg in der TAZ auf schöne Weise die Relevanz der Rückbesinnung und Aufarbeitung. „Insgeheim war man gespannt, in der Ausstellung ‚Kreuzberg Amerika‘ noch einmal die Anfänge der berühmten amerikanischen Fotografen zu sehen“, schreibt sie einleitend, räumt kurz darauf aber ein, erstaunt und beeindruckt von den deutschen Entdeckungen zu sein. (10)


Kommen wir auf die eingangs gestellte Frage nach dem Bleibenden der Ausstellung zurück, lassen sich nach dem Gesagten ein paar Punkte festhalten. Mit Thierry Chervel lässt sich eine ganz klare Antwort formulieren: Es bleibt ein „grandiose[r] Katalog“, der „eine ganze Periode der deutschen Fotogeschichte revidiert und eine ganze Generation endlich ins Licht stellt“. (11) Der Katalog ist für die zukünftige Rezeption von großem Wert, da er eine umfangreiche Gesamtschau aus den verschiedenen Perspektiven der Ausstellungen kreiert, die ganz ohne räumliche Distanzen und zeitliche Begrenzungen den Moment überdauert und so die Basis für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex errichtet. (12)


Aus der Beschäftigung mit der Ausstellung resultiert eine ganz essenzielle Erkenntnis: Sei mutig, es lohnt sich! Auf der einen Seite ist da die Geschichte der Entstehung der Werkstatt für Photographie. Allein durch das Engagement einzelner Enthusiasten und fast ohne finanziellen Hintergrund hat sich die Schule zu einer international bedeutsamen Institution emporgeschwungen. Diese Geschichte ermutigt dazu, Ideen nicht von vornherein als unmöglich abzutun und zunächst unüberwindlich erscheinende Aufgaben ambitioniert in Angriff zu nehmen.


Auf der anderen Seite ist da der Mut der Ausstellungsmacher, sich für die Nische zu entscheiden und damit ein vielfältiges und heterogenes Bild der kulturellen Landschaft zu unterstützen. Den Ausstellungen ist es geglückt, Aufmerksamkeit für ein in Vergessenheit geratenes Kapitel zu wecken und so die standardisierte und an den Gewinnern orientierte Geschichtsschreibung um einige wichtige Aspekte zu erweitern. Der Stein wurde angestoßen – ob er ins Rollen kommt, entscheidet sich erst in Zukunft und liegt nicht mehr in der Hand der Kuratoren.


Der Kommentar eines Ausstellungsbesuchers mit dem knappen Wortlaut „Ausbaufähig“ (13) darf hier also gerne als Aufforderung verstanden werden, die historischen Umstände und stilistischen Beeinflussungen der Fotografen untereinander genauer zu analysieren. Nur durch einen lebendigen Dialog kann die Werkstatt tatsächlich ihren angemessenen Platz in der Geschichte der Fotografie einnehmen und auf Dauer behaupten. Was also vor allem bleibt – es bleibt Hoffnung.


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(1) O. A.: Gästebucheinträge. In: Evaluation, S. 9.
(2) Vgl. Pressemitteilungen und Pressemappen. In: Evaluation, S. 46–65.
(3) Haberkorn, Falk: Hidden Neighbourhood. In: Camera Austria, 06.12.2016, S. 68 f.
(4) Schaden, Christoph: Arbeit am Mythos. In: Photonews, 2/2017, S. 8 f.
(5) Haberkorn, Falk: Hidden Neighbourhood. In: Camera Austria, 06.12.2016, S. 68 f.
(6) Lenz, Susanne: Erst durch den Menschen kann Fotografie entstehen. In: BZ, 03.01.2017.
(7) Weski, Thomas: Für die Fotografie fließt mein Herzblut. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 28.12.2016.
(8) Dörre, Stefanie: Transatlantischer Aufbruch. In: Tip Berlin, 25/2016, S. 74 f.
(9) Reichert, Kolja: Als die Bilder den Aufstand probten. In: FAZ, 12.12.2016, S. 11.
(10) Werneburg, Brigitte: Die Berliner Schule der Fotografie. In: TAZ, 12.12.2016, S. 15.
(11) Chervel, Thierry: Keine reine Kunst. www.perlentaucher.de/fotolot/Michael-schmidt-und-die-werkstatt-fuer-photographie, aufgerufen am 05.12.2017.
(12) Ebner, Florian/Hoffmann, Felix/Schube, Inka/Weski, Thomas (Hrsg.): Werkstatt für Photographie 1976–1986, Koenig Books, 2016.
(13) O. A.: Gästebucheinträge. In: Evaluation, S. 9.

30.12.2017


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Schlagworte: Werkstatt für Photographie, C/O Berlin, Michael Schmidt, Thomas Weski, Amerika Haus, Fotografie, Fotografiegeschichte,