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Skip, skip, skip... Fotografie auf der documenta 13

von Thomas Wiegand


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Mit einem gemurmelten „skip… skip…“ wurde Carolyn Christov-Bakargiev (CCB), der Kuratorin der documenta 13, während der Eröffnungspressekonferenz klar, dass sie zuviel Manuskriptseiten vorbereitet hatte. Sie ließ unter dem Beifall des Publikums etliche Blätter weg und redete noch immer lang genug. Die diesjährige documenta litt von Anfang an unter einem Zuviel von nichtssagenden Informationen nach dem Motto: unser Konzept ist, kein Konzept zu haben. Frau CCB wollte, so sagte sie in der Konferenz, mit dem Aktionismus, der bis hin zu speziellen Angeboten für Hunde geht, von den Künstlern ablenken, auf dass diese in Ruhe ihre Werke für die Ausstellung vollenden konnten. Man mutmaßte bereits, dass statt Kunst eine Art Gartenschau zu sehen sein würde, was die documenta 13 mit der documenta 1 des Jahres 1955 verbinden würde, die damals als ein Anhängsel der Bundesgartenschau in Kassel startete. Tatsächlich sind Pflanzaktionen im öffentlichen Raum initiiert worden (AND AND AND), es gibt einen großen Bottich, dessen Bepflanzung Schmetterlinge anlocken soll und gleichzeitig eine Rolle in DEM Vorabskandal spielen sollte. Denn der „The Lover“ genannte Schmetterlingsgarten von Kristina Buch steht in der Nähe der katholischen Elisabethkirche, die während der documenta eine Ausstellung mit Arbeiten von Stephan Balkenhol anbietet, dessen Gipfel eine öffentlich sichtbare Skulptur weit oben auf dem Kirchturm ist. Das Männchen auf dem Dach störe in den Augen der documenta-Leitung ihre Gesamtkomposition, Beispiel Schmetterlinge. Man vermutete aber, dass es eher um den Vorwurf von Trittbrettfahrerei ging. Denn in der Realität stört Balkenhols Figur überhaupt nicht. In der Tat kräftig stören tun die beiden müffelnden Würstchenbuden, die den Haupteingang des Fridericianums flankieren, stören tut der Buchhandelspavillon gegenüber, stören tun die anderen klotzigen weißen Container, die den Friedrichsplatz umstellen.


Doch genug der Vorrede, welche Rolle spielt die Fotografie auf einer der weltweit wichtigsten Kunstausstellungen? Die Frage ist schnell beantwortet: fast keine. Es gibt Fotografie, aber kaum im Sinne gerahmter Abzüge, wie sie vor zehn Jahren beispielweise von Ryuji Miyamoto als fulminate Raum füllende Installation präsentiert wurden. Es gibt auch keinen Tribut an wichtige Fotografen wie 1997 (Robert Adams, Ed van der Elsken, Walker Evans, Helen Levitt, Gary Winogrand), 2002 (Bernd und Hilla Becher, William Eggleston, Touhami Ennadre, David Goldblatt, Candida Höfer, Allan Sekula und andere) und 2007 (Zoe Leonard, Guy Tillim, erneut David Goldblatt und Alan Sekula). Genauer: fast keinen Tribut, denn immerhin hängen 20 Vintageprints von Lee Miller im „Gehirn“ der Ausstellung, im Erdgeschoss der Rotunde des Fridericianums. Diese kleinteilige, vollgestopfte und enge Ausstellungssituation soll Assoziationsräume öffnen, Anknüpfungspunkte zeigen und dient sozusagen als Visualisierung des „Nicht-Konzeptes“ der Ausstellung.


Von Lee Miller wurden Bilder ausgewählt, die Deutschland 1945 zeigen. Als wichtigstes Motiv ist die Fotografin selbst in Hitlers Badewanne zu sehen, ein berühmtes, von David E. Scherman aufgenommenes Bild, das auch eine aus Hitlers Besitz stammende kleine Skulptur des Bildhauers Rudolf Kaesbach einschließt, die Miller ironisch kommentierend neben die Wanne gestellt hatte. Die Skulptur steht auf der documenta direkt gegenüber in einer Vitrine, die Trophäen aus Hitlers Wohnung enthält, ansonsten aber Man Ray, dem zeitweiligen Liebhaber von Lee Miller, gewidmet ist. Seltsam unentschlossen wirkt es, dass in der Ausstellung das Badewannenmotiv in gleich fünf Varianten (eine davon mit Schermann in der Wanne) zu sehen ist, als ob man sich nicht für ein Motiv entscheiden wollte oder meinte, die besondere Bedeutung des Motivs durch Wiederholung betonen zu müssen. Zu Millers Arbeit in Deutschland gibt es dann auch noch vier Originalhefte der Vogue aus den Jahren 1944 und 1945 zu sehen, zwei davon aufgeschlagen an Stellen, an denen Millers Fotos veröffentlicht wurden. Ergänzt wurde diese Präsentation (am 30.Juni) durch einen eindrucksvollen, aber von der Öffentlichkeit kaum beachteten Vortrag von Lee Millers Sohn Antony Penrose über Leben und Werk seiner Mutter.


Das auch noch weitere fotografische Kostproben enthaltende „Gehirn“ war bereits am zweiten Tag der Pressevorbesichtigung so überlaufen, dass der Zugang reglementiert werden musste und ein provisorisches Schild hilflos „NO PHOTO“ wie zum Schutz von Millers Bildern verlangte. Ob und wie die Vintageprints die 100 Sommertage mit Hundertausenden Besuchern überstehen, werden am Ende vielleicht die Restauratoren beurteilen müssen. Das Benutzen von Blitzgeräten ist übrigens in der ganzen Ausstellung verboten – ob das Sinn macht oder nicht. Fotografiert wird von jedem zweiten Besucher, es wird sich, mit Ausnahme von Millers Arbeiten (sofern die Aufsichtspersonen das Verbot durchsetzen können), eine Bilderflut mehr oder weniger gelungener Kunstreproduktionen und Kunstinterpretationen von der documenta 13 in die Welt ergießen.


Zerstörung und Wiederaufbau war ein Stichwort, das für die documenta wichtig sein sollte. Daher auch Miller im Herz, nein im Gehirn der Ausstellung. In Kassel ein allgegenwärtiges Thema, ist die Stadtmitte doch ein Produkt der fünfziger Jahre, als nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Trümmerbrache eine moderne Stadt gestaltet wurde, deren städtebauliche Qualität langsam, aber zunehmend, auch von der Kasseler Bevölkerung als visionär anerkannt wird. Viele der so weit wie nie im Stadtgebiet zerstreuten kleinen und kleinsten Standorte der documenta sind in reparierten historischen Gebäuden (Fridericianum, Orangerie, Ständehaus, Hospital St. Elisabeth) oder in Neubauten der Zeit (Handwerkskammer, Untere Karlsstraße 14, Kino Kaskade) untergebracht. Der Standort „Hugenottenhaus“ in der Friedrichsstraße liegt zwar in der hugenottischen Oberneustadt, aber es handelt sich nicht um ein von und für Hugenotten gebautes Haus, sondern im Wesentlichen um ein profanes Mietshaus, das der Maurermeister Krauß 1825/26 errichtet hat. Ob das Werkeln im Haus mit der Denkmalpflege abgesprochen ist? Ja, ist es: Die Einbauten müssen nach der Ausstellung wieder entfernt werden (HNA, 5.7.2012). Die documenta bemüht sich jedenfalls um die Geschichte Kassels und damit auch um die Geschichte des Krieges allgemein, was die Brücke nach Kabul bauen hilft, wo eine Art Außenstelle an documenta-Kunst eingerichtet wurde. Botschafter von dort sind ein paar Arbeiten im Untergeschoss des Elisabeth-Hospitals und dort in einer ehemaligen Gaststätte im Eiche-Rustikal-Stil. Das Provisorische der Kunst, wie es sich in Kabul zwangsweise einstellen muss, hat hier ein passendes Pendant gefunden, denn Raum und Werke passen deutlich nicht zusammen. Immerhin sind hier auch drei größere Fotos des aus Afghanistan stammenden Künstlers Zalmai zu sehen. Und die Arbeit von Jeanno Gaussi thematisiert die Frage nach dem Wert der Erinnerung anhand von Portraits, die ein Werbemaler in Kabul nach schwarzweißen Familienbildern der aus der Stadt vertriebenen Künstlerin in Farbe malte. Eine Klammer zwischen Kassel und Kabul bildet auch das Panorama, welches eine Fotocollage mit einem Motiv eines zerstörten afghanischen Palastes mit einer Menschenmenge zeigt. Ein Pendant mit der Kasseler Orangerie wird gleichzeitig in Kabul ausgestellt. Der riesige Bild von Goshka Macuga ist zu sehen in der obersten Rotunde des Fridericianums, nimmt die Tradition der Panoramenmalerei auf und ist weder gemalt noch belichtet, sondern gewebt.


Die einzige größere Installation, in der Fotos im herkömmlichen Sinn zu sehen sind, ist „Faces und Phases“ von Zanele Muholi über Identität und Geschlechterrollen. In einem engen Kabinett in der Neuen Galerie sind 60 gerahmte Schwarzweißportraits zu finden, zudem ein Monitor, auf dem ein Film der Fotografin läuft. Als Zutat sind Fotos in vielen Installationen zu finden, aber das soll hier nicht als originär fotografische Position gelten. Bei Kader Attia geht ohne Fotos und Fotobücher gar nichts; seine Arbeit verschränkt die traditionelle Kunst Afrikas und Ozeaniens nicht nur mit der Europas, sondern auch mit Bildern von kriegsverstümmelten Soldatengesichtern. Solche Bilder schockierten schon in Ernst Friedrichs pazifistischem Aufruf „Krieg dem Kriege“ (1924); das drastische Buch ist gleich zweimal als wichtige Quelle in der Ausstellung vorhanden. Denn Attia zeigt neben Schmuck und Nippes aus Patronenhülsen und anderen Kriegsrelikten auch Bildbände zu Themen der Kunst und des Krieges, sodann zwei Diaprojektionen und schließlich Skulpturen, die afrikanische Holzschnitzer nach Vorbildern von Fotos der Kriegsverletzten angefertigt hatten. Die Bildbände sind von langen Gewindestangen durchbohrt und in den Metallregalen der Installation festgeschraubt. Eine verstörende, ohne die Fotos undenkbare Arbeit nicht nur zum Thema Gewalt, sondern auch zur Relativität von Kulturleistungen. Genau dies gilt ja als eines der Hauptthemen der 13.documenta.


Rabih Mroués Raum im Kulturbahnhof enthält u.a. eine Videoprojektion, einige ausgedruckte, aber völlig unscharfe und schmenenhafte Ausdrucke an der Wand und einen Tisch mit Daumenkino-Büchern, zu denen man sich auf Knopfdruck den passenden Ton anhören kann. Es geht um kurze Filme, die aus dem derzeit wütenden Bürgerkrieg in Syrien stammen und die von Leuten solange gefilmt wurden, bis sie entdeckt wurden. Eine Waffe wird auf den Handy-Filmer gerichtet, ein Schuss wird abgefeuert und dann bricht das Bild ab. Was passierte dann? Sind die Zeugen tot, warum überlebten aber die Bilder und gelangten über das Internet an die Öffentlichkeit? Die Mutmaßungen und Erklärungen, die Mroué höchst sachlich im Stil einer Berichterstattung über ein wissenschaftliches Experiment vorträgt, verblüffen, irritieren und fordern den Betrachter zu eigenen Schlussfolgerungen auf. Was ist die Wahrheit, wie weit kann die Fotografie Beweismittel sein? Letztendlich setzt Mroué mit seinem documenta-Beitrag die Diskussion fort, die sich beispielsweise an Robert Capas berühmten Foto eines sterbenden Soldaten aus dem spanischen Bürgerkrieg entfachte. Der Ausstellungsbesucher muss sich im Übrigen die Hände schmutzig machen, wenn er in den Daumenkinos blättert, denn diese liegen in Stempelkissen mit blauer Farbe. Fingerabdrücke bezeugen das Interesse an dieser Arbeit.


Apropos Life: Tausende von Motiven hat Geoffrey Farmer aus dem Life Magazin ausgeschnitten, wie Fahnen an hohe Grashalme geklebt, sortiert, dann die Grashalme in Holzbretter gesteckt und diese auf einem bestimmt 20 m langen, schmalen Tisch im oberen Auegang der Neuen Galerie aufgebaut. Ein durchaus dekorativer Bilderstrudel aus einem halben Jahrhundert, dargestellt anhand der Fotos, die in der Illustrierten, gleich ob im redaktionellen Teil oder in der Werbung, abgedruckt waren. Mehr Fotos auf engstem Raum gab es noch nie auf einer documenta zu sehen...


Weniger spektakulär ist das Video, das Mario Garcia Torres aus einzelnen Fotos und Dias machte. Es geht um Alighiero Boettis Hotel One in Kabul, einem legendärer Treffpunkt, den der Künstler (und frühere documenta-Teilnehmer) eingerichtet hatte. Garcia Torres ging anhand von einzelnen Fotos der Geschichte dieses in den 1970er-Jahren bestehenden Hotels nach, analysierte die Bilder sehr genau, zog Schlussfolgerungen, konnte schließlich am Ende einer Reise nach Kabul das Haus tatsächlich wiederfinden. Es existierte also noch und war nicht, wie zuvor angenommen, zerstört worden. Die Methode der Bildanalyse, die Garcia Torres in seinem aus dem Off gesprochenen Kommentar vortrug, war ruhig, sachlich und verlieh dem Film einen Sog, der den Betrachter nicht mehr los ließ. Selbst wenn das ganze nur Fiktion gewesen wäre: So also kann man Fotografien verwenden.


In einer leeren Etage des Kaufhauses C & A ist eine Arbeit von Cevdet Erek zu entdecken, die nicht minder von den Möglichkeiten der Beschreibung von Realität handelt. Nach außen, zur Straße hin wirkt nur ein Billboard mit Leuchtschriften. Innen, ist man der Kinderabteilung des Textilhauses entkommen, empfängt eine reduzierte Atmosphäre von nackten Betonwänden, von unverstellten Fenstern und einem minimierten Technosound, der massiv aus zahlreichen, im ganzen Raum verteilten Boxen wummert. Fotos gibt es hier nicht zu sehen, aber, erst bei genauerer Betrachtung, doch Bilder. Erek hat nämlich Teile der Wand mit Klebeband abgeklebt und damit zu Kunst gemacht. Stichwort: Internationaler Stil. Brutaler als der nackte Beton kann ein Bild des Betons auch nicht sein – folgerichtig verzichtete der Künstler gleich auf die Vermittlung durch ein bildgebendes Verfahren und nutzt Klebeband und kleine Schilder, um das hervorzuheben, was ihm wichtig ist. Die reale Fotografie würde erst dann wieder ins Spiel kommen, wenn man diese nicht transportable Installation dokumentieren wollte.


Die Landschaft des Fuldatals bei Breitenau spielt eine Rolle in der Arbeit „The Workhouse: Room 2“ von Ines Schaber und Avery F. Gordon in der Galerie Handwerkskammer. Es geht um das Arbeitshaus in dem ehemaligen Kloster, um ein dunkles Kapitel in der Geschichte, das CCB so wichtig war, dass sie ihre Künstler zu einem Vorbereitungstreffen dorthin einlud. Über Kopfhörer eingespielt werden Texte, Erinnerungen und Dokumente zum Leben im Lager Breitenau, der Raum ist von einem Vorhang geteilt. In der anderen Hälfte befinden sich das Schaufenster der Galerie, in dem gerahmte Farbfotos der eigentlich nichtssagenden nordhessischen Landschaft bei Breitenau und Informationen über die Geschichte des Ortes stehen. Aus einer Arbeit für Historiker wird etwas bemüht ein Werk für eine Kunstausstellung. Mit Breitenau beschäftigt sich auch eine in einer der kleinen Hütten in der Karlsaue gezeigte Diaprojektion von Gunnar Richter, der die Breitenauer Gedächtnisstätte leitet. Die Ton-Diaschau war sicherlich fundamental wichtig für die Aufarbeitung der Geschichte des Arbeitshauses. Heute versprüht das Dokument vor allem den spröden Charme der Spurensuche-Pädagogik der achtziger Jahre. Breitenau spielt auch die Hauptrolle in einem dreiteiligen Film, den Clemens von Wedemeyer im Nordflügel des Hauptbahnhofs zeigt. Ausgehend von einem in Kassel entstandenen antisemitischen Foto aus der Nazizeit arbeitet die Installation niedlicher Plüschtiere von Sanja Ivecović in der Neuen Galerie den Schrecken der Intoleranz heraus.


Eine kleine Abschweifung sei noch zum Thema Buch erlaubt. „Observations“ von Roman Ondák ist eine Installation in der Neuen Galerie, die auf einem Künstlerbuch beruht und in der mit der Dekontextualisierung alter Fotos gearbeitet wird (www.kasselerfotobuchblog.de/observations). Oder ist das Künstler-Fotobuch nur das Ergebnis der Ausstellung? Der Raum von Paul Chan (im Haus Friedrichsstraße 28) ist voll von Kunstbucheinbänden. Die Buchblöcke fehlen, die Leineneinbände dienen als Malgrund für kleine Gemälde, die vom Titel des Buches inspiriert erscheinen. In der Stadtbibliothek hat Mathias Faldbakken ein Regal – ausgerechnet mit Literatur zu Wirtschaft und Gesellschaft! – ausgeräumt und den Inhalt auf dem Erdboden verteilt. Das sieht aus wie nach einem Erdbeben und ist auch so gemeint. Im Inneren des Weinbergs, im Zweiten Weltkrieg aus alten Bierkellern als Bunker ausgebaut, liegt als Teil der Arbeit von Aman Mojadidi ein aufgeschlagenes Buch mit einem Text zum Thema Schwarzmarkt. Mit der Zerstörung von Büchern, ausgehend vom Schicksal der im Zweiten Weltkrieg verbrannten Bestände der Kasseler Landesbibliothek, hängen zwei Installationen im Zwehrenturm zusammen. Mit verschleppten und in der israelischen Nationalbibliothek überdauernden Büchern aus ehemals palästinensischem Besitz beschäftigt sich eine aus Reproduktionen von Exlibris und Notizen aus solchen Büchern bestehende Installation von Emily Jacir. Dort stellt auch Michael Rakowitz seine an den ehemaligen Kasseler Bestand erinnernden steinernen Buchobjekte aus, die Bildhauer aus Stein meißelten, der aus der Gegend der 2001 gesprengten Buddha-Statuen in Bamiyan in Afghanistan stammt. Mark Dion hat für Carl Schildbachs bis 1799 angelegte Holzbibliothek im Naturkundemuseum eine neue „Präsentationsarchitektur“ entworfen. Die Zusammenarbeit mit den lokalen Kasseler Museen und der documenta hat somit nachhaltigen Nutzen. Überhaupt kann man in den alteingesessenen Museen, so sie für und von der documenta genutzt werden, schnell in die jeweiligen Dauerausstellungen abschweifen. Erkennbar ist das an den anders auftretenden und gekleideten Wärtern und an den anders gestalteten Erklärungsschildern an der Wand. Natürlich passt die „Gastkunst“ in den Museen zu deren Ausrichtung: Computerpionier Konrad Zuses Aquarelle hängen neben seinen großvolumigen Rechenmaschinen im „Astronomisch-Physikalisches Kabinett“ der Museumslandschaft Hessen Kassel. Ähnliches gilt auch für die Neue Galerie, das Brüder Grimm-Museum und das Naturkundemuseum Ottoneum.


Skip, skip, weiter, weiter. Die documenta 13 ist zu groß und zu weitläufig, um sie an einem Tag in ihrer ganze Komplexität erfassen zu können oder alles in einem kurzen Text wie diesem beschreiben zu können. Entschleunigung ist angesagt, Mut zur Lücke. Hier sollte es ja nur um Fotos gehen, zugegeben eine altmodische, auf ein Medium reduzierte Beschränkung, die sich angesichts der aktuellen Ausgabe der documenta als nicht tauglich erwies. In der Vorberichterstattung auf der offiziellen, schwer navigierbaren Website der documenta kam „Fotografie“ lange Zeit in der Liste der wesentlichen Stichworte nicht vor, wurde nun aber, bei Eröffnung als eines unter Dutzend anderen Inspirationsquellen nachgetragen. Immerhin. Fotografie ist selbstverständlich präsent, aber nur nebenbei: als Installation von gedrucktem Material wie bei Ondák oder Farmer, als pädagogische Interventionen wie bei den Breitenau-Arbeiten, als Laufbild oder Projektion wie bei Garcia Torres oder bei Willie Doherty, dessen düsteres, in Kassels Umgebung gedrehtes Endzeitvideo in der Nachrichtenmeisterei gut versteckt ist, oder als ein Haufen von Kleinbilddias auf einem Leuchttisch, die als bloße Erinnerung an die Nebelfänger-Aktionen von Horacio Larrain Barros dabei sind, ohne allerdings als Bild wirken zu können. Oder ausnahmsweise als gerahmte Abzüge an der Wand, wie von Zanele Muholi und wenigen anderen zu sehen, zum Beispiel, um Umweltaktivisten vorzustellen (die „Heroes of the Lake“ von Maria Thereza Alves), als Zutat von einer labyrinthischen, ein ganzes Haus einnehmenden Installation von Haris Epaminonda und Daniel Gustav Cramer („The End of Summer“, Nordflügel des Bahnhofs) oder im zentralen „Gehirn“ der Ausstellung aufzublitzen wie die Arbeiten von Vandy Rattana oder Lee Miller.


Nach dem wie üblich die Erwartungen kalkuliert anheizenden Spektakel der Vorbereitungszeit (Stichworte: Wahlrecht für Erdbeeren, Kunstführungen von und für Hunde(n), Balkenhol-Schneider-Affäre, alles Produkte klugen Marketings?), der wie immer lange geheim gehaltenen Künstlerliste, und bei allem Geraune um Ökofeminismus ist die documenta tatsächlich eine Ausstellung geworden. Kein Gartenbauprojekt, (fast) kein Tierheim, keine dilettantische Bruchlandung, sondern Perspektiven gebend, neue Namen präsentierend, wie nie zuvor Räume ergreifend und nutzend. Nur eines ist die documenta nicht: eine Fotoausstellung.


PS Das Kasseler Fotoforum lädt ein zur Diskussion über die Fotografie auf der documenta. Die Termine und nähere Informationen über die eingeladenen Gäste finden Sie hier: www.kasselerfotoforum.de/.

10.06.2012


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Schlagworte: documenta 13, dOCUMENTA (13), Kassel, Fotokunst, Ausstellung, Christov-Bakargiev, Fotografie, Fridericianum