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Texte zur zeitgenössischen Fotografie und digitalen Bildkunst
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„Ich glaube sowieso keinem Bild irgendwas.“ Wilhelm Schürmann im Gespräch mit Gabor Baksay

von Wilhelm Schürmann


Wilhelm Schürmann im Gespräch mit Gabor Baksay
-(Erstveröffentlichung in: „Sammlerlatein – aus der Welt der Bilder“, Lindinger+Schmid, 2004)-


Baksay: Ist das ideale Foto ein weißes Stück Fotopapier?


Schürmann: Theoretisch, als Projektionsfläche vielleicht.
Material ist ja noch kein Foto. Dann wäre eine unbeschriebene Festplatte ja auch was Schönes. Eine Arbeit von Tom Friedman besteht aus einem weißen Blatt Papier, auf das er 1.000 (tausend) Stunden geschaut hat. Jochem Hendricks ließ 3.281.579 Mio. Sandkörner zählen. Vier Personen benötigten dazu vier Wochen und er bezahlte sie dafür. Kunst ohne alles und das ist Alles. Sinnvoll wird’s, wenn man es macht, oder auch nicht. Gelebtes Leben ist das Kriterium.


Baksay: Ist der Fotograf der natürliche Feind des guten
Fotos?


Schürmann: Das grosse Ego, der Wille zum Guten Fotto, sind bereits Verhinderungsmaschinen. Interessante Ergebnisse stellen sich häufig gerade dann ein, wenn man nichts erwartet, aber auf Zufälle gefasst ist. Gute Fotografen wissen das, und fordern das geradezu heraus. Gute Künstler sind immer auch als Menschen interessant. Aber nicht alle guten Künstler sind auch gute Fotografen.
Jenseits des Willens Dinge zuzulassen, die weiter sind, als man sie sich in seinen persönlichen Limits hätte ausdenken können, darum geht es auch. Hieb- und stichfeste Generalkonzepte mit kunsthistorisch ordnungsgemäßer Positionierung sind meist todlangweilig oder im besten Fall unfreiwillig komisch. Triumph des
Willens war einmal.


Baksay: Wenn der Zufall so kreativ ist, dann kann das
ja jeder, dann wäre der Künstler überflüssig.


Schürmann: Zufall kann ja nicht kreativ sein. Die Entscheidungen dazu muß schon der Mensch treffen. Das tut eben nicht jeder. Das hat auch nichts mit handwerklicher Virtuosität zu tun. Der alte Vorwurf an Picasso: „Das kann mein Kind auch“ wird ja bis heute
noch nachgebetet.
Picasso hat dazu gesagt: „Gewiss kann Ihre kleine Tochter das auch, aber nur, wenn ich es vorgemacht habe“. Es geht um seine Haltung. Die Einstellung zum Leben. Da kann sich Kunst einstellen. Geschmacksfragen spielen keine Rolle.
Ich habe vor Jahren mal ein Interview mit einem Musiker gelesen. Der sprach darüber, dass er vor einem Konzert in der Lage sei, sein gesamtes Wissen zu vergessen und mit leerem Kopf auf die Bühne zu gehen und alles neu zu erfinden.
Wie man das hinbekommt, das kann man kaum verbalisieren. Das sind Erfahrungswerte und das Vertrauen darauf, dass man sich darauf verlassen kann. Vielleicht kann man das Können nennen. Technische Kenntnisse sind Voraussetzung; auch um sie vergessen zu können. An geniale Dilletanten glaube ich gar nicht.


Baksay: Momentan scheint so eine zufallsfreundliche Haltung in der
Fotografie ziemlich populär zu sein. Selbst in „normalen“ Publikumszeitschriften ist eine aus der Hüfte geschossene Lomo- Ästhetik inflationär. Ständig begegnen einem angeschnittene Köpfe oder Fotos, deren zentraler Bildgegenstand ausgeblendet
ist.


Schürmann:. Das meine ich nicht. Das wäre ja die reine Beliebigkeit. Ich meine das mehr im Sinne von Marcel Duchamp. In seiner letzten Installation „Etant donné“ zeigt er einen weiblichen Körper mit gespreizten Beinen. Die einzige Bewegung die man sieht, ist ein kleiner Wasserfall. Damit diese Bewegung überhaupt möglich ist, ist da eine Scheibe vor einem Gaslicht an irgendeiner Schraube festgemacht. Aber, diese Schraube ist nicht richtig fest gedreht. Dadurch eiert diese Scheibe in einem Zufallsrhythmus, was ein Flackern des Lichtes erzeugt und das Fliessen von Wasser suggeriert. Technisches Wissen mit Loslassen können erzeugen hier das Geheimnis der Sichtbarkeit. So etwas anzuzetteln, dieses System von Unwägbarkeiten mit einfließen zu lassen, dazu bereit zu sein, das
ist eine andere Qualität, als mit einer Lomo beliebig um sich zu knipsen.
Wolfgang Tillmans, ist in diesem Sinne begnadet. Der sieht was, drückt drauf und braucht auch gar nicht durch den Sucher zu schauen, weil seine Bilder sich aus seinem Leben heraus ergeben. Diese Bilder sind immer richtig. Wenn jemand lediglich diesen Look nachzumachen versucht, produziert er lediglich formalistische Resultate. Fottis eben.
Die Frage, die man immer am Hals hat und die wohl ewig weiter aktuell bleiben wird – weil die Bilderberge ja eher zu-, als abnehmen – bleibt: Was kann ein Bild überhaupt noch sichtbar machen. Ist es nicht so, dass alle fotografischen Bilder Wahrnehmung auch auslöschen,anstatt weiteres sichtbar zu machen? Kann es nicht sein, dass die Addition von immer mehr Bildern unsere Wahrnehmung mehr verhindert als bereichert.
Was muss man heute für Bilder machen, um die Millionen von Bildern, die jeder im Kopf hat, aktuell zu aktivieren?


Baksay: „Was kann ein Bild sichtbar machen?“ Das klingt für mich didaktisch fast schon zu korrekt nach Paul Klee oder so: „Was, liebe Kinder, will uns der Künstler mit diesem Bild sichtbar machen?“


Schürmann: Die dümmste aller Fragen, „was will der Künstler damit sagen“. Hier gilt die alte Erkenntnis, ich sehe nur was ich weiß. Das gilt für alle. Wichtig ist aber auch, warum ein Bild gezeigt wird. Ein grosser Schritt für mich, ist meist ein kleiner Schritt für die Menschheit. Das nenne ich Privatdidaktik.


Baksay: Ist in der Fotografie das erzählerische Element nicht mindestens so wichtig, wie das visuelle?


Schürmann: Das Bild ist doch kein Tonband und labert mir die Ohren voll. Ich muß ja erst mal hinsehen wollen. Es reicht doch heute wenn ich lese „Elefant von Maus gebissen“, das brauche ich doch nicht mehr fotografiert zu sehen, um zur Tagesordnung überzugehen. Dieses
Dauererzählkino bringt heute jeder als Erlebniskategorie im Kopf mit. Jeder ruft dann seine Privatvisualisierung aus der Erinnerung ab.
Der Wunsch etwas sehen zu wollen, generiert vielleicht erst die eigentlichen Bilder. Gute Fotografien eröffnen zusätzliche, noch nicht bekannte Blickwinkel auf uns Vertrautes. Gute Kunst auch.
In einer Arbeit von Peter Piller sieht man Personen, die auf leere Stellen zeigen. Die Serie nennt er „Bedeutungsflächen“. In Regionalzeitungen findet man häufig solche Bilder, die nichts zeigen, aber auf etwas hinweisen.


Baksay: Wie könnte dieses Sichtbarmachen für Sie persönlich aussehen? Gibt es einen Oberbegriff?


Schürmann: Vielleicht auch altersbedingt, interessieren mich immer mehr Grunderkenntnisse und Wahrnehmungszusammenhänge.
Basiswahrnehmungen eigentlich, pseudowissenschaftlich. Warum sehe ich etwas so wie ich es sehe und warum. Wie setzt sich ein Bild zusammen?
Ich schraube gerade eine größere Fotografieausstellung mit dem Titel „kurzdavordanach“ zusammen.(Beginn am 21. Oktober in der SK Kulturstiftung im Mediapark Köln.) In den zwei Jahren der bisherigen Vorbereitung, sind mir sehr viele Fotos begegnet, die solche ursächlichen Situationen darstellen. Stille Bilder.
Fasziniert hat mich bereits vor Jahren das Foto einer Kröte in einem See im hohen Norden Die guckt gleichgültig mit grossen aber leicht hängenden Augen in die Welt. Hinter ihr die finnische Mitternachtssonne.
Das hat nichts mit Natur-Romantik zu tun sondern erscheint absolut archaisch, so ähnlich wie eine Figur von Becket, beinahe. Miniurknall der Wahrnehmung. Man hat das Gefühl, das Leben sei gerade in diesem Moment entstanden und schaue zum ersten Mal über
Wasser. Ein ganz kleines Foto mit grosser Wirkung. Dadurch, dass sich kein Frosch, sondern eine Kröte zeigt, wirkt das reptilienhafter, Loch Ness für Arme. Und wenn ich weiß, das ist die Mitternachtssonne auf diesem Bild, Nacht ist es also und die Sonne wird zum Mond, wo es sonst dunkel ist, und wenn ich weiß, das hat ein Pentthi Sammallahti fotografiert, dann sind das alles Kleinigkeiten, die mir zusätzlich wichtig sind in ihrer Poesie.


Baksay: Welchen Stellenwert hat Humor in Ihrer Kunstwahrnehmung?


Schürmann: Das ist das Wichtigste überhaupt. Duchamp hat gesagt „Humor ist der einzige Grund, überhaupt weiter zu leben“. Das gefällt mir sehr.


Baksay: Ist Humor denn nicht eine Krücke, ein Ersatz für erlebte Emotionalität?


Schürmann: Humor ist unabdingbar. Er schafft erst die Distanz zum eigenen Tun. Alle Künstler, die ich ernst nehme, haben solchen Humor, nehmen sich selbst nicht zu wichtig. Robert Smithson hat den verschiedenen Arten des Lachens geometrische Formen zugeordnet. Sehr empfehlenswert. Witz in der Kunst kann leichtfüßig sein, einem selbst das eigene Tun von aussen betrachten lassen. „Ich ist ein Anderer“ bei Arthur Rimbaud. „Ich kann beim besten Willen kein
Hakenkreuz entdecken.“ „ Symphatische Kommunistin“ bei Martin Kippenberger. Merke: Erkenntnis kann sich auch in lautem Lachen einstellen.


Baksay: Im NAK gab es kürzlich diese fast schon parodistische Ausstellung von Anselm Reyle. Im Grunde war das ein Organon zum Thema: „Wie sich das kleine Fritzchen die moderne Kunst vorstellt.“ Zum Teil waren das zum schreien komische Bilder. Aber ist denn das Parodistische auf Dauer nicht ein bisschen Zweidimensional?


Schürmann: Malerei ist nun mal zweidimensionale Oberfläche. Reyle macht dennoch keine Scherzchenkunst! Das Ihnen parodostisch Erscheinende, operiert hier mit dem Wissen um die ausgeleierten Limits der “Modernen Kunst“. Die Ausstellung exponiert neben den einzelnen Werken eben auch eine Kunstvereinsausstellung.
Qualitätskriterium für Kunst ist für mich ihre Halbwertzeit; Sprich, die Dauerhaftigkeit des Widerstandpotentials eines Werkes gegen seine einfache Vereinnahmung.
Und ich wette, dass ich an diesen Arbeiten von Reyle in 10 oder 12 Jahren genauso viel Freude haben werde, wie heute. Er stellt sich auf eine ebenso witzige wie ernsthafte Weise den grundlegenden Fragen der Malerei und Skulptur. Weshalb ich spontan so lachen musste war, dass man merkte, ihm ist die Wahrnehmung „schau mal, moderne Kunst!“ absolut bewusst. Diese Rezeption wird mitzitiert und darauf baut er auf.
Künstler zeigen immer auch das Zeigen. Der Franz West ist ja auch so ein Genie auf dem Gebiet. Der hat von Künstlerkollegen häufig die letzten Ladenhüter erworben oder getauscht, und die dann alle miteinander auf die Wand über eine seiner Sitzgelegenheiten gehängt. Die Gesamtwirkung ist begeisternd. Was gerade noch Ladenhüter war, so harmlos wie es zusammenepinselt schien, ergab unvermittelt grosse Kunst mit Spassgarantie.
Sie merken, wir reden schon wieder nicht über Fotos.(lacht)


Baksay: Und das ist gut so. Fotos sind sowieso doof.


Schürmann: Zumindest sind sie meistens überflüssig und doofe Fotografen machen doofe Fottos.
Ich schließe da mein eigenes Geknipse nicht aus. Das Fotografieren selbst ist meistens noch ganz unterhaltsam, bis sich die immer wieder neue Frage stellt: „Soll man davon einen print machen? Bringt das was? Kennenwir das nicht schon alles?“


Baksay: Vielleicht hilft ja die „Wahrheit“, wenn die ästhetischen
Fragen zu knifflig werden. Gibt es einen fotografischen Realismus?


Schürmann: Ich glaube nicht an Wahrheit. Realismus ist nicht nur in der Fotografie eine unglaublich naive Vorstellung. Wessen Realität? Während wir hier reden ist meine Realität eine andere, als Ihre. Wir sitzen uns an einem Tisch gegenüber und Sie sehen das Gegenteil von dem, was ich sehe. Sie schauen auf ein Fenster, ich auf eine braune Wand. Sollen wir jetzt noch darüber diskutieren, ob die Wand oder das Fenster real sind?


Baksay: Welchen Einfluss wird die technische Entwicklung auf das Medium nehmen? Wird sich die Fotografie demnächst in holografische Filmsequenzen auflösen, die man auf den 100 GB-Festplatten futuristischer Handys abspeichert?


Schürmann: Eigentlich ist es doch egal mit welchen Mitteln man die Bilder erzeugen wird. Es wird immer ein Bedürfnis nach Bildern geben, die Emotionen hervorrufen. Es wird auch nicht unwichtiger werden, die Bildmaschinerien und die Interessen dahinter durchschauen zu können. Man wird damit umzugehen lernen. Die Kluft zwischen Besserwissenden und Nichtwissenden wird sicher ein ernstes Problem werden.


Baksay: Aber am Beispiel des Stummfilms hat man schon gesehen, dass sich diese Technik nach Erfindung des Tonfilms in Luft aufgelöst hat.


Schürmann: Der Tonfilm war aber auch eine Erweiterung des Mediums Film zu mehr Lebensnähe. Ich vermisse den Stummfilm nicht. Denken sie nur an die mit rollenden Augen überagierenden Stummfilmstars.
Da gibt es im Tonfilm wesentlich überzeugendere Ausdrucksmöglichkeiten. Video oder bewegte Hologramme sind keine Verbesserung des Mediums Fotografie, sondern neue, eigenständige Medien. Die Situation ist weniger mit Stumm- und Tonfilm vergleichbar als mit Malerei zur Zeit der Erfindung der Fotografie. Entgegen dem Geschrei der damaligen Zeitgenossen vom Ende der Malerei, wird immer noch selbstbewußt weiter gemalt, weil mittlerweile alle Medien nebeneinander existieren können ohne sich gegenseitig zu verhindern.


Baksay: Warum haben Sie das Fotografieren aufgegeben?


Schürmann: Ich habe es nicht aufgegeben, ich fotografiere nur nicht mehr für Ausstellungen. Unsere Sammlung ist mit dem wachsenden Bekanntheitsgrad dieser Künstler so prominent geworden, dass ich heute einen leichteren Zugang zu öffentlichen Institutionen hätte, dort eventuell auch meine eigenen Fotos zu zeigen. Ich finde, das geht nicht. Das ist ein Interessenskonflikt. Ich kann als Sammler nicht diese Öffentlichkeit für meine eigenen Sachen in Anspruch
nehmen. Außerdem habe ich das, was ich mit fotografischen Bildern zu sagen hatte, ausreichend formuliert. Die Bilder sind gemacht.
Heute geniesse ich, etwas anzuschauen, ohne es auch aufzeichnen und damit festhalten zu wollen.


Baksay: Ich muss jetzt an ihre finnische Kröte denken. Deren archaischer Blick auf den Mitsommernachtshimmel wäre wahrscheinlich weit weniger ergreifend, wenn sie sich – um ihre Eindrücke festzuhalten – Gedanken über die korrekte Belichtungszeit und Filmempfindlichkeit machen müsste.


Schürmann: Es ist sehr vorteilhaft, Fotografien ohne Erfolgsdruck machen zu können. Es ist geradezu eine Befreiung, irgendwo hinfahren zu können und keine Kamera dabei zu haben. Zu sehen reicht mir jetzt. Deshalb finde ich Tilmanns so gut. Der fotografiert aus seinem Leben heraus. Aber so bin ich nicht. Tilmanns fotografiert auffallend unangestrengt. Egal ob den Apfel zum Frühstück, den Punk, der auf einen Stuhl pinkelt oder chemische Spuren auf seinem Fotopapier. Alles scheint gleich gültig und wirkt dennoch spektakulär. Sein Blick auf die Welt ist auf nichts festgelegt. In den 80iger Jahren hat Richard Prince mal gesagt: „ Normality
will be the special effect of the nineties.“ Die Becherschule hat das nüchtern umgesetzt.


Baksay: Das erinnert an den permanent-und-alles-Fotografen Araki, den viele immer noch mit einem Pornographen verwechseln.


Schürmann: Vielleicht ist er ja doch ein größerer Pornograph, als sie denken. Seine Blumenbilder sind mindestens genauso schweinisch, wie seine gefesselten Frauen. Diese erotisch aufgeladenen Blütenkelche sind Objekte der Schamlosigkeit die an David Lynch erinnern, oder Mapplethorpe, aber nicht den Blumenstraußzum Muttertag ersetzen wollen. Wenn man will, kann man Arakis gefesselte Geishas aber auch als existenzielle Menschendarstellungen sehen, die nichts mit Erotik zu tun haben. Lüsternheit ist sehr willkommen als Verführungskunst in der Welt der Bilder. Rolf-Dieter Brinkmann hat in den Siebzigern als Schriftsteller nicht nur alles aus seinem Leben manisch minutiös beschrieben, sondern auch vieles geknipst, was ihm vor die Linse kam. Als manischer Wahrnehmender
dieses permanenten Daseinsflusses hat er eine unglaubliche Masse an biographischen Momentaufnahmen produziert, wobei er absolut authentisch geblieben ist, keins seiner Bilder hat die gemütliche Aura eines Photoalbums sondern eine nüchtern trockene Sachlichkeit.
Das war ja schon immer Realität, dass die meisten Fotos in privaten Alben im Dunkeln blieben. Die sind jetzt bei Ebay zu ersteigern. Wirklich gute Fotos wirken oft wie anonyme Bilder, brauchen aber jemanden der sie auswählt Siehe Brinkmann. Jeder Depp könnte solche Fotos wie er machen. Jedoch warum sollte er? Der damaligen existenziellen Dringlichkeit, alles zum Material zu machen, möchte man sich dann lieber doch nicht mehr aussetzen.


Baksay: Das Portrait ist das schwierigste Genre in der Fotografie. Angefangen von den tapfer agierenden Familienmitgliedern, die für das Fotoalbum ein schönes Leben vorspielen, bis zu den grausamsten Dokumenten der Verlogenheit in Presse, Werbung und Politik
erzwingt das photographische Portrait eine sadomasochistische
Beziehungssituation. Der Portraitierte ist immer der Idiot, der sich zumindest unbehaglich, wenn nicht gar panisch gelähmt fühlt. Der Fotograf dagegen ist der große Zampanano mit sämtlichen Machtmitteln
in seiner Hand. Da ist eine Portraitsitzung bei einem Maler oder Zeichner wesentlich humaner.


Schürmann: Das Entscheidende ist das Interesse an dem Menschen, den man fotografiert. Aber dennoch sollte man nicht meinen, man könne wirklich mit einem Foto etwas über eine Person aussagen. Das bleibt zuallererst Bild. Der Mensch kann sich verstellen. Der Fotograf kann etwas falsch interpretieren. Richard Avedon hat einmal gesagt, dass ihn nie interessiert habe, ob seine Porträts den dargestellten Personen gerecht würden, da ausser ihm sowieso niemand sie kenne.


Baksay: Hat Thomas Ruff die Lösung gefunden? Berühmt genug ist er ja. Seine Modelle haben absolutes Lächelverbot und verkörpern den sachlichen Ernst Mensch-gewordener Elementarformen: Frau mit Sommersprossen,Taxifahrender Konzeptkünstler usw.


Schürmann: Ich hab damit Probleme. Sein Galerist erzählte mir damals, Ruff eliminiere in seinen Porträts alles was Fotografie ausmache. Stil, Ausdruck, Beleuchtung usw., und deshalb sei das Kunst und nicht Fotografie. Ziemlich dumme Begründung. Ich sage Bild
gross, viel Moos. Ruff hat schließlich seine angebliche Stillosigkeit wieder als Stil verkauft. Er hat doch sogar Porträts im Auftrag gemacht, stillos natürlich. Zwinker zwinker. Das sind Marketingstrategien und macht die Ergebnisse Vorstandsetagenkompatibel. Konzern Photography im Gegensatz zur concerned photography.


Baksay: Vor ein paar Tagen hatten wir Andreas Magdanz zu unserem Fotothema interviewt. Ich fände es interessant, wenn sie sich gegenseitig kommentieren.


Schürmann: Was ich am Andreas toll finde ist, dass er nach wie vor an ein Ziel glaubt. Dass er an den Sinn von Bildern glaubt, dass er sagt, ich muss das jetzt machen, das ist jetzt wichtig, dass das gemacht wird. Das ist klassische concerned photography, also engagierte Fotografie. Ich würde mir bei ihm noch wünschen, dass er auch Menschen in seine Bilder einbezieht. Das ist natürlich schwieriger, da er nicht als Studiofotograf agiert. Ich traue ihm auch auf diesem Gebiet sehr viel zu, weil Andreas einfach wach genug ist, um auf die belebte Welt zu schauen.


Baksay: Andreas erzählte uns, dass eine der für ihn persönlich wichtigsten Arbeiten die aus der Hüfte geschossene Aufnahme eines Mönchs ist. Das Foto ist großartig aber für Andreas völlig untypisch und mehr oder weniger „zufällig“ entstanden. Seine „normalen“ Fotografien unterirdischer Bunker oder von Füchsen, die in den Krematorien von Ausschwitz herumtoben haben eine fast schon mystische Aura unberührter Wahrhaftigkeit.. Bei einer seiner Aufnahmen stand ein Stuhl vor einer abgerissenen Tapetenwand. Ich hatte mich gefragt, ob er wohl bei so einer Aufnahme, den Stuhl bewegen würde, wenn es ihm besser ins Bild passt oder ob so ein Eingriff für ihn den Ethos des unberührt vorgefundenen zerstören
würde.


Schürmann: Hört sich nach unbefleckter Empfängnis an. Unberührte vorgefundene Realität. Was soll das sein? Andreas macht gegenwärtige zeitlose Aufnahmen, und zeigt Auschwitz in seiner banalen Schrecklichkeit. Wenn er dafür mal einen Stuhl verrücken würde, wo wäre das Problem? Es würde dennoch kein verücktes Foto. Das eine ist ein Ort, das andere ist ein Bild Wenn mir beim Fotografieren so etwas begegnen würde und ich meinte etwas arrangieren zu sollen, ich hätte heute nicht das geringste Problem damit. Ich glaube sowieso keinem Bild irgendwas.


Baksay: Das was an in seinen Bildern vorliegt, egal, ob er jetzt einen Stuhl oder sonst was verschoben hat oder nicht – was ist die Qualität, die ihn von anderen Leuten unterscheidet?


Schürmann: Die Orte, die er aufsucht, die besucht er nicht aus taktischen Gründen, sondern aus echtem Interesse. Die sind aufgeladen mit ihrer Wirkungsgeschichte, mit den Geschehnissen und Erfahrungen unserer Vergangenheit. Geschichtliche Orte. Andreas´ Arbeitsweise ist deckungsgleich mit seiner Person. Er ist das, was er fotografiert und das überzeugt.
Er quält sich da auch durch und stellt sich partiell selbst in seinen Weg. Obwohl das auch sehr deutsch ist, hilft es auch das Deutschsein besser zu verstehn und liefert keine Berufsbetroffenheit. Andreas hat einfach diesen Überdruck, der für Qualität unabdingbar ist.


Baksay: Nach Garzweiler und Ausschwitz arbeitet er jetzt in diesem Militärdurchseuchten „Vogelsang“-Naturschutzgebiet. Interessant übrigens diese sprachmusikalische Gleichklang von „Birkenau“ und „Vogelsang“. Die Lieblichkeit der Klangfarben verdeckt die todernsten Tatsachen, ähnlich wie „Ebola“ – das klingt ja auch wie ein Ferienort auf den Kanaren.


Schürmann: Willkommen im wirklichen Leben. Irgendeine Katharsis ist da sicher im Gange. Er muss das alles machen um es fassen zu können. Und vor allem muß er es machen, weil es da ist.


Baksay: Hier noch ein letzte Frage. Sie bezieht sich auf das Motto, dass als Zitat über den Fotoseiten steht: „Dignity cannot be photographed.“ (Bob Dylan) Dylan hat mit seinem Statement bestimmt nicht beabsichtigt, etwas tiefsinniges zu äußern, die Zeile steht auch eher beiläufig in einem Song. Trotzdem finde ich, beschreibt er treffend, dass ein Foto nur der schattenhafte Bruchteil des aufgenommenen Motivs ist. Indem ich etwas fotografiere, konserviere ich lediglich ein Gespenst von irgendwas. Das darf man meinetwegen sogar animistisch als „böser Geist“ verstehen. Stimmt es, dass auf einem Foto das Wesentliche nie drauf ist?


Schürmann: Eindeutig. Geht gar nicht, Fotos sind Oberfläche auf gelatine-silver-print, Material, ein Stück Papier, oder immateriell Bildschirmoberfläche. Das Wesentliche kann nur zwischen dem Medium und dem Betrachter entstehen. Würde ist auch ein Konjunktiv. Bilder sind immer nur Annäherungen.



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Die Redaktion dankt Wilhelm Schürmann für die Genehmigung, dieses Gespräch in fotokritik.de online stellen zu können. Alle Rechte verbleiben bei dem Autor.



Die Einführung zu diesem Gespräch ist in fotokritik.de Jahrgang 2019 zu finden.


25.06.2019


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Schlagworte: Wilhelm Schürmann, Gabor Baksay, Sammlerlatein, Fotokritik,