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Allan Porter und "camera" - ein Gespräch mit Nadine Olonetzky

von Thomas Leuner


Fast legendär, aber vergessen: die Kunstfotografie-Zeitschrift
«camera» aus dem Bucher-Verlag Luzern. Dort von 1922 bis 1981
erschienen, war sie eine Publikation mit höchsten Ansprüchen an das
Auftreten und an die Entdeckerlust für große Fotografie. Untrennbar
ist dieser Ruf mit Allan Porter, dem letzten Redakteur, verbunden.


Nun legt die Kulturjournalistin Nadine Olonetzky die erste Publikation zu diesem Thema vor: „Ein Amerikaner in Luzern. Allan Porter und – eine Biografie“, Pro Libro Verlag, Luzern 2007.


Thomas Leuner: Frau Olonetzky, wie kommt man heute zu Allan Porter
und zu «camera»?


Nadine Olonetzky: Marco Meier, der ehemalige Chefredakteur der
Kulturzeitschrift «du» und Leiter der «Sternstunde»–Redaktion beim
Schweizer Fernsehen, kennt Allan Porter seit seiner Jugendzeit in Luzern. Zusammen mit dem Verleger des Pro Libro Verlags Luzern,Peter
Schulz, fand er, es wäre höchste Zeit, Allan Porter eine Biografie zu widmen. Ihr Anliegen war, sowohl die Person Allan Porter wie auch
sein Werk, das er als Redakteur und Chefredakteur von «camera» geschaffen hatte, zu würdigen. Allan Porter hatte ja sowohl in der Schweiz wie in Europa und den USA durch «camera» einen entscheidenden Beitrag zur Verbreitung und Rezeption von Fotografie geleistet. Dies drohte, vergessen zu gehen. So kamen sie also Ende 2005 mit der Anfrage auch mich zu, ob ich diese Biografie schreiben würde. Ich selbst hatte Allan Porter kennen gelernt, als die Redaktion des «du» im Juni 2002 ein Heft über Polaroidfotografie herausbrachte, das auf der Sammlung von Polaroidaufnahmen von Allan Porter aufgebaut war; ich verfasste für das Heft den Text «Polaroid. Die Maschine zum Lebensgefühl».


Thomas Leuner: Als ich 1977 «camera» zum ersten Mal in den Händen hielt, war sie schon eine Offenbarung. Man tauchte in eine internationale Kunstfotografie-Szene ein, die eine eigene Kultur des Layouts kannte, Fotografen-Autoren vorstellte, die in der Lage waren, ihr Tun selbst zu reflektieren, und ein medial orientiertes Technikverständnis besaß. Für Europa – besonders Deutschland – ging das der Zeit weit voraus. Wie kommt so ein ambitioniertes Projekt nach Luzern und wird dort über Jahrzehnte durchgehalten?


Nadine Olonetzky: Den Grundstein für «camera» legte der Druckereibesitzer Carl Josef Bucher (1873–1950), der ein leidenschaftlicher Amateurfotograf war. Mit der Zeitschrift brachte der ab 1922 sein Hobby und seine Arbeit unter einen Hut. Auf der einen Seite nämlich konnte Bucher unter Beweis stellen, wie gut seine Druckerei einen vergleichsweise anspruchsvollen Auftrag wie den Druck von Fotografien bewältigte; das Heft funktionierte also auch als Marketingprodukt, wie man heute wohl sagen würde. Auf der anderen Seite konnte Bucher sein persönliches Interesse an Fotografie ausleben und füllte mit der Zeitschrift erst noch eine Marktlücke. Der erste Chefredakteur war Adolf Herz, ein österreichischer Ingenieur und Fotokenner. Von Anfang an hatte man den Anspruch, ein internationales Forum für die künstlerische Fotografie zu sein. Für die lange Existenz von «camera» entscheidend war dann allerdings Alice Bucher, die 1941 die Leitung der Druckerei und des Verlags übernahm. Die Ehefrau von C.J. Bucher, der wegen eines Schlaganfalls nicht mehr arbeiten konnte, war nicht nur geschäftstüchtig und für damalige Verhältnisse aussergewöhnlich international 'vernetzt', sie interessierte sich auch für Kunst, Fotografie und Literatur. Sie trug «camera», die ab Ende der 1950er Jahren nicht mehr dreisprachig, sondern in drei Ausgaben (Deutsch, Englisch und Französisch)erschien und unter den Chefredakteuren Walter Läubli, Hans Neuburg oder Romeo E. Martinez sowohl Blütezeiten wie Durststrecken erlebt hatte, sozusagen durch Dick und Dünn mit. Sie hielt allen Chefredakteuren den Rücken frei, insbesondere aber Allan Porter, der 1965 Jahre zum Redaktionsteam stieß. So konnte Allan Porter die Zeitschrift «camera» erneut – und nun zum letzten Mal – zu einem international beachteten Forum machen. Der Anfang vom Ende von «camera» waren Schwierigkeiten,welche die C.J. Bucher Druckerei durch den Bau eines neuen Druckzentrums bekommen hatte, das 1972 fertiggestellt wurde, aber noch lange große Nachfolgekosten nach sich zog. Alice Bucher verkaufte Druckerei und Verlag schliesslich an die Ringier & Co. AG, welche «camera» zuerst noch herausbrachte, 1981 aber das Erscheinen der Zeitschrift einstellte. Man muß sich vergegenwärtigen, dass Zeitschriften wie «camera» oder «du» selbst in ihren Blütezeiten kein gutes Geschäft gewesen sind, sondern immer auch dank kulturellem Engagement und dem Sinn für Prestigeprodukte der Verleger existierten.


Thomas Leuner: Was macht denn die Besonderheit der Ära Allan Porter
(1965-1981) aus?


Nadine Olonetzky: Allan Porter hat, wie seine bedeutenden Vorgänger Walter Läubli und Romeo E. Martinez, das Heft mit seiner ganzen Persönlichkeit geprägt und es mit Leib und Seele produziert, ja, Porter war «camera» (oder «camera» war Porter!), vor allem in den 1970er Jahren. Seine Kontakte zu Fotografinnen und Fotografen in den USA, aber auch in Deutschland und anderen europäischen Ländern, die er schon lange geknüpft hatte, kamen bei der Realisierung der Hefte voll zum Tragen. Er publizierte ihre Arbeiten in grösseren und kleineren Beiträgen, machte zuweilen auch monographische Hefte mit
ihnen und wählte jeweils eine seiner Auffassung nach passende grafische Gestaltung. Sicher besonders wichtig war aber, dass Allan Porter mit «camera» die amerikanische Kunstfotografie in Europa bekannt machte. Er publizierte Arbeiten von Duane Michals oder Sarah Moon, von Larry Clark, Lewis Baltz, Ralph Gibson oder William Klein zu einem Zeitpunkt, als sie hier noch unbekannt waren. Da es damals in Europa keine Fotomuseen und fast keine Fotogalerien gab, war «camera» schlicht die Plattform für Information, Austausch, Neues. Mit «camera» hat Allan Porter also eine sehr wichtige Vermittlungsarbeit geleistet, und für viele künstlerisch arbeitende Fotografen war das Heft deshalb eine entscheidende Inspirationsquelle. Allan Porter war – und ist übrigens noch immer ein aussergewöhnlich neugieriger, vielseitiger und selbst künstlerisch begabter Mensch. Er ist viel gereist, er war geradezu versessen darauf, wichtige Menschen kennenzulernen, und er hatte oft ein sehr gutes Gespür für Fotografie und für Trends, die sich abzeichneten. Das kam dem Heft sehr zugute. Porters Vielseitigkeit, seine Begeisterung für Grafik,Drucktechniken, Malerei, Literatur oder Teppichkunst und seine Begabung, Verwandtschaften in unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksformen zu finden, flossen in die Produktion des Hefts ein. Porter war also vieles, nur eines nicht: ein Fachidiot. Manchmal ging seine eigentlich eher künstlerische Vorgehensweise auf Kosten von vertiefter Auseinandersetzung oder zeitigte kuriose Resultate. Aber genau diese künstlerische Vielseitigkeit und Begeisterung haben auch eine ganze Reihe von Ausgaben ermöglicht, in denen mit erfrischender Unbekümmertheit Themen gewählt und Bilder mit Texten so kombiniert sind, dass die Fotografie gewissermaßen zum Leuchten gebracht wird. Porters Leidenschaft hat sich in den Heften manifestiert und auf die Leserschaft übertragen. Neben Heften mit historischen Themen Fotogeschichte ist übrigens ein Steckenpferd von Allan Porter – hat er vor allem bedeutende monographische Ausgaben realisiert und wichtige Hefte zur Architekturfotografie oder zum Verhältnis von Grafik, Drucktechniken und Fotografie herausgebracht.


Thomas Leuner: Was für einen Eindruck machen die Hefte aus unserer heutigen Sicht auf Sie als besondere Kennerin der einzelnen «camera» Ausgaben? Eignen sie sich als Schnelllehrgang zur Geschichte der zeitgenössischen Kunstfotografie oder liegt schon sehr viel Patina und Geschmäcklerisches über der sich dort widerspiegelnden Auffassung von Fotografie?


Nadine Olonetzky: Sowohl als auch. Die Ausgaben wiederspiegeln natürlich den Geist der Zeit, in der sie entstanden. Die Grafik der Hefte wirkt zuweilen geschmäcklerisch und veraltet, doch manche Hefte haben – auch durch das Revival der 1970er-Jahre-Ästhetik – auch Charme. Aber einmal abgesehen von denjenigen Heften, in denen Allan Porter historische Fotografie zum Thema machte und die ich teilweise noch immer sehr inspirierend zusammengestellt finde, sind aber gerade die Nummern mit damals neuer Kunstfotografie auch aus heutiger Sicht noch immer interessant. Ja, ich persönlich finde sie sogar dann interessant, wenn die Fotografie heute nicht mehr bestehen kann.Denn
Allan Porter als neugieriger und experimentierfreudiger Redakteur,
der offen ist für Neues, begeisterte sich eben auch einmal für eine Arbeit, die ihm im Moment vielleicht stimmig erschienen ist, aber nach zehn, zwanzig Jahren nicht mehr hält, was sie einmal versprach zu sein. So vermitteln die Hefte nicht nur seine persönlichen Vorlieben, sondern auch den Geschmack der Zeit. Die monographischen Hefte über Josef Koudelka, Mark Cohen, William Klein, Lisette Model erzählen jedoch zeitgenössische Foto-Geschichte; ebenfalls die Ausgaben «Auf der Suche eines neuen Sehens» (12/1971) mit Bildern von Les Krims und Duane Michals oder die Hefte «Eineandere Dimension» (1/1971) und «Sequences» (10/1972) mit Aufnahmen von Christian Vogt,Oliviero Toscani und Ulrich Mack. Besonders schön finde ich die Ausgabe «Ultra Banalität» (8/1970) mit Bildern von John Gossage, Christian Vogt und einer Aufnahme von Balthasar Burkhard/Markus Raetz.


Thomas Leuner: Was mich die ganze Zeit bei dem Thema «camera» beschäftigt, ist die Frage: Wenn ich jetzt Andreas Gursky anrufe und sage:“ Hallo Andreas, hast Du «camera» gekannt, war sie für dich wichtig?“ Und? Ich vermute, die Antwort wäre „ja“, die Bechers haben sie im Unterricht benutzt. Also: Welche Wirkung und Bedeutung hatte «camera» für die heutige zeitgenössische Fotografie? Wenn ich von der These ausgehe, dass alle, die sich in den 70er und 80er Jahren mit Fotografie beschäftigt haben, «camera» lasen. Gibt es dazu irgend welche Erkenntnisse?


Nadine Olonetzky: Ich weiss, dass man das Heft in den 60er, 70er und teilweise auch noch in den 80er Jahren sehr intensiv wahrgenommen hat. Und ich nehme also stark an, dass sowohl Berndt und Hilla Becher wie ihre berühmten Schüler und Schülerinnen sehr wohl zur Kenntnis
nahmen, was in «camera» publiziert wurde. «camera» war ja, wie ich schon ausführte, schlicht die Plattform für Informationen und gab Einblick in neue Fotoarbeiten, die sonst nicht zugänglich gewesen
sind. Der Direktor des Fotomuseums Winterthur, Urs Stahel, hat beispielsweise damals über «camera» die Arbeit einer ganzen Reihe von interessanten Fotografen und Fotografinnen kennengelernt. Und der Fotokünstler Ulrich Görlich, der heute an der Hochschule der Künste Zürich Professor für Fotografie ist, damals aber in Berlin lebte, erzählt, wie wichtig das Heft für ihn und seine Freunde gewesen ist. Sie haben «camera» aus diesem Grund auch «das Zentralorgan» genannt, eine liebevolle und ironische Bezeichnung, die den Stellenwert des Hefts als «einzigartige Inspirationsquelle», wie er sagt, auf den Punkt bringt. Aufgrund der Fotografien, die er in «camera» gesehen hatte, lud er beispielsweise amerikanische Fotografen wie Ralph Gibson oder Lewis Baltz zu Workshops in die Berliner 'Werkstatt für Fotografie' ein. Ich denke also, dass «camera» für Künstlerinnen und Künstler, die mit dem Medium Fotografie zu arbeiten begannen, ohne Zweifel sehr wichtig war. Allerdings ist das Interesse der Studenten und Studentinnen, die Ulrich Görlich heute an der ZHdK unterrichtet, fast gleich Null. Das erstaunt ein wenig, ist doch das Interesse an Mode, Stil, Design, Musik etc. aus den 70er Jahren sonst aussergewöhnlich stark. Es wäre also interessant, die Bedeutung des Hefts sowohl bei heute berühmten Fotokünstlern und -künstlerinnen, als auch bei heutigen Studierenden noch vertiefter zu erfragen.


Thomas Leuner: Ein Abschlusswort?


Nadine Olonetzky: Mein Auftrag lautete, eine Biografie über Allan Porter zu schreiben, mit der sein Engagement für und bei «camera» gewürdigt werden sollte. In diesem Zusammenhang habe ich die Geschichte des Hefts aufgearbeitet – also auch die Zeit vor Porter –, doch selbstverständlich hat diese 'Kurze Geschichte der Zeitschrift «camera»' keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder gar auf wissenschaftliche Qualität. «Ein Amerikaner in Luzern» ermöglicht nun einen Einblick ins facettenreiche Leben von Allan Porter und liefert einen ersten Überblick über die Geschichte des Hefts. Die Bedeutung, die «camera» für die Fotografie hatte, und die Qualität einzelner Nummern könnten und müssten also noch wissenschaftlich fundiert aufgearbeitet werden. Da gäbe es noch viel zu tun.


Thomas Leuner
Vielen Dank Frau Olonetzky

03.03.2008


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